Nördlich des Weltuntergangs
worden war, war bald nach Ausbruch des Krieges in Konkurs gegangen, und der Fernsehbildschirm blieb seit Jahren schwarz. Der »Fliegende Engel« trabte zwar nach wie vor zwischen Ukonjärvi und Valtimo hin und her, doch die Nachrichten, die das Mädchen brachte, waren für gewöhnlich lokaler Art und basierten auf Gerüchten. Man brauchte unbedingt zuverlässigere Informationen über die Situation in der Welt, damit man sich auf mögliche Umwälzungen einstellen konnte.
Eemeli Toropainen beschloss, einen eigenen Kundschafter auszusenden, der herausfinden sollte, was in der Welt geschah. Severi Horttanainen meldete sich als Freiwilliger. Er war in der Tat gut geeignet für die Reise, da er bereits achtundsiebzig Jahre alt war und zwar noch Orgel spielte, aber nicht mehr auf dem Feld arbeiten konnte. Trotzdem war er äußerst mobil und erpicht darauf, sich auf seine alten Tage die Welt anzusehen.
Eemeli vereinbarte die Route mit ihm. Er sollte zunächst mit dem Zug in den Süden fahren und dann versuchen, auf irgendeine Art nach St. Petersburg zu gelangen. Wenn möglich, sollte er anschließend über Archangelsk zurückkehren. Seine Aufgabe war die eines Spions, er sollte erkunden, wie die Situation in Russland war und ob von dort möglicherweise neue Massenwanderungen drohten. Auch sollte er klären, wie man sich am besten verhielt, falls ungebetene Gäste im Anmarsch waren. Wäre es empfehlenswert, sie gleich an der Grenze auf saubere Art zu beseitigen?
Severi Horttanainen wurde unmittelbar nach der Ernte losgeschickt. Man packte ihm Brot, gesalzenes Fleisch, Trockenfisch und einen Krug Schnaps in den Rucksack und stattete ihn mit einer angemessenen Geldsumme aus.
Ein paar Begleiter brachten ihn mit dem Pferdewagen zum Bahnhof Valtimo, wo er in einen Zug stieg, der von einer Dampflok gezogen wurde. Die Begleiter wünschten ihm eine interessante Spionagereise und fuhren wieder nach Hause. Man erwartete allgemein, dass Horttanainen zu Weihnachten zurückkehren werde.
Es wurde Weihnachten, doch wer nicht erschien, war Severi Horttanainen. Es kamen der Frühling und der Sommer, aber von Horttanainen keine Spur. Noch ein zweites Weihnachtsfest und ein weiterer Frühling und Sommer vergingen. Horttanainen ließ sich nicht blicken. Erst im August 2017 traf die Kunde ein, dass Horttanainen immerhin am Leben war. Eines Abends kam der »Fliegende Engel« aus Valtimo angehetzt und berichtete, dass ein Mann, der behauptete, Horttanainen zu heißen, in Nurmes gesehen worden sei und sich nun auf den Weg nach Norden gemacht habe.
Eemeli Toropainen befahl, einen Traber anzuspannen und Horttanainen vom Bahnhof Valtimo abzuholen, und ein paar Tage später kam der Wagen auch tatsächlich mit dem Mann zurück.
Der arme Alte war in elender Verfassung. Er war bis auf die Knochen abgemagert, seine Kleidung bestand nur noch aus schäbigen Fetzen, er hinkte und stützte sich auf einen Stock. Horttanainen sah wie ein Hundertjähriger aus, obwohl er erst achtzig war.
Er wankte in Eemelis Herrenhaus. Seppo Sorjonen untersuchte ihn. Der Alte war stark unterernährt, außerdem litt er an einer schweren Depression. Sorjonen ordnete an, ihm als Erstes eine leichte Fischsuppe und Buttermilch zu verabreichen. Man führte den Alten in die Sauna und steckte ihn anschließend in saubere Sachen. Damit er sich erst mal ein paar Tage ausruhen konnte, machte man ihm ein Lager in dem stillen und geräumigen Speicher des Herrenhauses zurecht, und die Frauen brachten ihm zu essen und zu trinken. Jeden zweiten Tag besuchte ihn eine Masseurin vom Grünberg, die die steifen Glieder des alten Spions zu lockern versuchte.
Allmählich bekam Severi Horttanainen neuen Lebensmut. Seine körperliche Verfassung besserte sich dank des guten Essens und der guten Behandlung, sodass er bereits nach einer Woche den Speicher verlassen und ausführlich von seiner zweijährigen Spionagereise berichten konnte.
Es war eine lange Geschichte. Zuerst war Severi mit dem Bummelzug nach Hämeenlinna gereist, wo er erfahren hatte, dass nach Helsinki keine Zivilpersonen hineingelassen wurden; die Stadt war wegen des Krieges gesperrt, und der größte Teil der Bevölkerung war aufs Land evakuiert worden. In Hämeenlinna hingegen lebten die Leute in relativer Sicherheit. Der gute Severi blieb zunächst dort, um sich ein paar flotte Tage zu machen, da er einmal Zeit hatte und auch nette Gesellschaft fand.
Von Hämeenlinna nahm ihn schließlich ein Lastwagen nach Kotka mit, wo es
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