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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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geworden, und drinnen fehlten die Kunstschätze, auch das Pendel, das von der Kuppel herabgehangen und die Bewegung der Erdkugel angezeigt hatte, war nicht mehr da. Wo mag es jetzt wohl schwingen?, fragte sich Severi und entzündete auf dem Platz vor der Kathedrale ein Lagerfeuer auf einem leeren Denkmalsockel. Vielleicht hatte dort früher eine Leninbüste gestanden; wie auch immer, nun war jedenfalls keine mehr da, und der Sockel eignete sich gut als Feuerstelle. Die Steine waren aus Marmor, und Stufen aus rotem Granit führten zu ihnen hinauf.
    Severi machte sich Hasenbraten, als drei verfrorene Soldaten auftauchten. Severi gab ihnen ein paar Bissen ab und fragte, woher sie stammten. Zwei von ihnen kamen aus Astrachan, der dritte aus Sibirien. Zurzeit bestand ihre Aufgabe darin, den letzten Wärtern der Stadt Gemüse zu bringen. Mit Eselskarren transportierten sie den Kohl von St. Petersburg nach Schlüsselburg. Severi tauschte zwei Hasenfelle gegen eine aufgerollte Leinwand von den Soldaten ein. Es war das Gemälde Unerwartet von Ilja Repin, das die Burschen im Herbst in der Nähe der Eremitage auf der Straße gefunden hatten, wohin es vom Wind geweht worden war.
    Severi besuchte auch die Peter-und-Paul-Festung auf der Newa-Insel. Zu seinem Erstaunen sah er, dass dort Leben und gemächliches Treiben herrschte: In der Festung existierte immer noch ein Gefängnis, so wie bereits viele Jahrhunderte lang. Darin hatten seinerzeit Dekabristen, die verschiedensten Revolutionäre, sogar finnische Häftlinge geschmachtet, später weiße Generäle und Aristokraten aus dem alten St. Petersburg. Neugierig erkundigte sich Severi im Büro des Kommandanten, welche Häftlinge derzeit in den Zellen schmorten. Man reagierte misstrauisch und fragte nach seinem Passierschein, dem Propusk. Severi erklärte, dass er ein harmloser finnischer Tourist sei, und wollte rasch den Rückzug antreten, was jedoch nicht mehr möglich war. Die Angelegenheit verlangte nach einer Klärung, und so lange wurde Severi in eine Zelle gesperrt.
    Es zeigte sich, dass dort viele Menschen einsaßen, die über ihr Schicksal im Ungewissen gelassen wurden. Die meisten waren nicht einmal verurteilt worden, sondern man hatte sie einfach irgendwo aufgegriffen, und da sie verdächtig waren wie jeder Mensch, hatte man sie fürs Erste in eine Zelle gesteckt. Ein amerikanischer Geistlicher erzählte, dass er sechs Jahre zuvor nur deshalb in die Festung gebracht worden war, weil er damals noch kein Russisch konnte. Er hatte die Absicht gehabt, in Schlüsselburg eine Mormonenkirche zu gründen, war aber gar nicht dazu gekommen. Jetzt sprach er fließend Russisch, was ihm trotzdem nicht zur Freiheit verhalf. Ein Mann, der den Gefängnisslang sprach, konnte kaum als unschuldig gelten.
    Die Wärter waren freundlich, fast wohlwollend; denn ihnen taten die Häftlinge Leid, die in den öden Zellen schmachteten, nur konnten sie nichts an der Sache ändern. Sie reichten den Häftlingen täglich durch die kleinen Türluken eine magere Kohlsuppe und holten anschließend die Reste ab, die sie gewohnheitsmäßig über die Mauer aufs Eis der Newa kippten. Sie versuchten auch, die verzweifelten Bittgesuche der Häftlinge zu befördern, auch wenn nie Antworten eingingen, denn es gab in der ganzen Stadt keine entsprechenden Behörden mehr. Die Gerichte waren nach Tihvin verlegt worden, dort befanden sich alle Richter und Polizeiinspektionen, dort wurden Fälle behandelt und entschieden. Aber St. Petersburg war St. Petersburg, und die Beamten von Tihvin betrachteten sich als nicht zuständig für den Strafvollzug der ehemaligen Großstadt. Sie hatten genug mit den eigenen Kriminellen zu tun, was man ihnen glauben durfte, denn die Verbrechensmafia von Tihvin war tatsächlich unerhört erfolgreich und grausam.
    Der spionierende Organist Horttanainen lernte Mithäftlinge der verschiedensten Nationen kennen. Er bekam ausgezeichnete Informationen über den Verlauf des dritten Weltkrieges und darüber, welche Staaten auf welcher Seite kämpften und welche Zerstörungen entstanden waren. Er erfuhr auch einiges über die Zustände im weiten Russland, angefangen von den Ufern des Pazifik bis hin zum Eismeer. Schade nur, dass er nicht nach Hause zurückfahren und sein wertvolles Wissen weitergeben konnte, denn er saß in seiner Zelle in der Peter-und-Paul-Festung sicher verwahrt wie ein mehrfacher Mörder oder ein Dissident. Es schmerzte ihn, an das heimatliche Ukonjärvi zu denken, wohin er

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