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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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paar Scheunen und Holzeinschlagplätzen ab, führte an Dörfern vorbei und überquerte die Bahnstre­ cke Kontiomäki-Nurmes und bald danach die Fernver­ kehrsstraße Nummer achtzehn. Kein einziges Auto war unterwegs.
    Als sich der Zug am Rande eines Sumpfes befand, fie-len plötzlich Schüsse in der Ferne. Severi Horttanainen trieb das Pferd in den Wald, und alle verharrten reglos und gespannt. Nach einer halben Stunde kamen die vorausgeschickten Späher, fünf fremde Männer mit sich führend.
    In dem gespenstischen Mondlicht war nicht genau zu erkennen, wen die Soldaten da festgenommen hatten. Die Fremden waren ohne Skier unterwegs.
    »Herr Feldwebel, wir haben fünf Gefangene genom-men, es sind Russen«, meldete einer der Späher.
    Sulo Naukkarinen nahm die Männer in Augenschein. Sie sahen jämmerlich aus, waren unbewaffnet und äußerst primitiv ausgerüstet. Der Älteste von ihnen trug die Uniform eines Oberst, die jedoch sehr abgetragen und an vielen Stellen zerrissen war, ein Stiefel war durch einen Bastschuh ersetzt. Die anderen trugen Zivilkleidung in womöglich noch elenderem Zustand. Einer der Männer hatte überhaupt keine Schuhe an, er hatte seine Füße mit Lappen umwickelt, die durch eine Schnur notdürftig zusammengehalten wurden.
    Die Männer baten um Brot und Wasser. Die Soldaten fällten eine Kiefer und machten Feuer.
    Nun konnte man sich die Männer genauer ansehen. Ihre Gesichter waren rußig und mit langen Bartstoppeln bedeckt, ihre Wangen eingefallen, die armen Kerle schienen halb verhungert zu sein. Der Oberst, der als Anführer fungierte, war vielleicht fünfzig Jahre alt, die anderen waren jünger. Gierig machten sie sich über das ihnen angebotene Elchfleisch und das Brot her. Sie erzählten, dass sie ihren letzten Proviant zwei Tage zuvor verzehrt hatten, als sie zwischen Kuhmo und Nurmes die Staatsgrenze überschritten. Sie waren ur­ sprünglich zu siebt gewesen, aber einen Mann hatten sie in Russland zurücklassen müssen, nachdem er sich den Fuß verletzt hatte, und einen anderen hatte die finni­ sche Grenzwache erschossen.
    Als sie gefragt wurden, was sie veranlasst hatte, sich auf einen so lebensgefährlichen Weg durch unzugängli­ ches Gelände in ein fremdes Land zu machen, lachten sie trocken. In Russland galt ein Menschenleben nicht mehr viel. Sie hatten die Absicht gehabt, sich in ein finnisches Dorf durchzuschlagen und sich dort bis zum Sommer zu verstecken, um dann zu versuchen, irgend­ wie nach Schweden oder Norwegen zu gelangen. Leider waren die Russen im Ausland nicht mehr willkommen, sie mussten heimlich über die Grenzen gehen.
    Der Oberst erzählte, dass er in den Achtzigerjahren zweimal in Finnland gewesen war. Damals, als junger Hauptmann, war er Dolmetscher in einer Delegation gewesen, die sowjetische Waffenlieferungen mit der finnischen Armee vereinbart hatte. Wehmütig erinnerte er sich an die vergangene Zeit. Die Finnen hatten ihre sowjetischen Gäste fürstlich bewirtet.
    »Einmal wurde uns in Kuopio gefüllte Gans nach rus­ sischer Art vorgesetzt…, sie war innen mit Kaviar gefüllt. Am Tag hatten wir den Flugstützpunkt Rissala besucht. Abends gingen unsere Gastgeber noch mit uns in die Rauchsauna, als Nachtmahl gab es Krebse und hinter-her Wodka und Weißwein.«
    Ins Auge des Oberst stahl sich eine wehmütige Träne, die im eigenartigen Licht des flackernden Feuers und des kalten Vollmondes blitzte. Von fern, aus der Gegend hinter den östlichen Bergen, klang das Geheul eines einsamen Wolfes herüber. Für einen Augenblick schien es, als wollten der Oberst und seine Männer die Gesich­ ter zum gelben Mond emporrecken und in das traurige, ferne Geheul einstimmen.
    Eemeli Toropainen fragte, wie es derzeit in Russland aussah. Die Meldungen, die von dort kamen, waren ziemlich widersprüchlich.
    Der Oberst erklärte, dass das ganze weite Land von Bürgerkriegen erschüttert war, es gab kaum eine Ecke, in der nicht gekämpft wurde. Nichts funktionierte. An der Macht war mal dieser und mal jener. Selbst ernann­ te Fürsten zogen raubend und brandschatzend mit ihren Kriegstruppen durchs Land. In Südrussland war dem Vernehmen nach ein neuer, etwas stabilerer Staat gegründet worden, aber Genaueres ließ sich darüber nicht sagen. Im Nahen Osten wurde gegen die Chinesen gekämpft. Laut Berichten waren im Herbst in Moskau Eisenbahnwaggons mit Leichen angekommen, und zwischen den eigenen Gefallenen hatten getötete chine­ sische Soldaten gelegen. In Astrachan

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