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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Friedrich der Große von einem heiligen Zorn erfüllt. Dass ein ehrlicher Bauer in diesem Land kein Recht bekommt! Die Richter, die dieses zu verantworten hatten, seien »gefährlicher und schlimmer als eine Diebesbande …, die sind ärger wie die größten Spitzbuben, die in der Welt sind, und verdienen eine doppelte Bestrafung«, befand Friedrich. So kam es auch: Friedrich warf die Richter kurzerhand in den Knast.
    Es war ein spektakulärer Fall, der den Ruf Friedrichs als volksnahen gerechten König zementierte.
    Erst nach seinem Tod traute man sich, den Fall wieder aufzurollen. Da wurde erneut festgestellt, dass Herr Arnold ein Querulant und ein Gauner und im Unrecht war; die Strafen für die Richter wurden im Nachhinein aufgehoben. Friedrichs Nachfolger, Kaiser Friedrich Wilhelm II., ließ kleinlaut mitteilen, dass sein Onkel wohl auf die falschen Leute gehört hätte und das Ganze ein riesiger Irrtum sei.
    Eine Petition hat auch etwas Erotisches: Die demütige, sehnsüchtige Haltung des Bittstellers, seine Bedürftigkeit und Hilflosigkeit – das schreit nach Sex, schon um die Spannung beziehungsweise Langeweile abzubauen, die sich beim endlosen Warten und Hoffen einstellt. Desgleichen auf der anderen Seite: Welcher Herrscher wird nicht durch die Abhängigkeit seines Volkes angetörnt?
    Das beste Beispiel für die Erotik des Bittstellens ist die Geschichte der Christiane Vulpius. Sie wuchs in bescheidenen, finanziell prekären Verhältnissen auf und musste, um ihrem Vater unter die Arme zu greifen, putzen gehen. Und Bittschriften einreichen, liebliche Hilfsgesuche und anmutige Amtsanträge, die immer wieder auf dem Tisch von Goethe landeten. Der 39-jährige Dichter war bereits Geheimrat und Leiter des Finanzministeriums, als er sich 1788 persönlich mit der 16 Jahre jüngeren Christiane in einem Park traf, damit sie ihm eine Bittschrift für ihren Bruder überreichen konnte. Und schon war es um ihn geschehen.
    Was war es, was ihn so anzog? Die devoten Blicke, die sie ihm von unten herab zuwarf? Die mädchenhaft-bescheidene Art, wie sie bat, statt zu verlangen? Oder war es einfach die Vorstellung, dass er im Grunde alles von ihr verlangen könnte, was er nur wollte, und wenn er sich nicht zu doof anstellte, würde er es vermutlich auch bekommen? Egal, wie es genau begann, es wurde eine der schönsten Liebesgeschichten der deutschen Petitionshistorie. Schon ein Jahr später fing sie an, ihm Kinder zu gebären, vier an der Zahl in rascher Folge, und aus lauter Liebe durfte sie sogar bei ihm wohnen. Das Haus konnte sie zwar nur in den allerdringlichsten Fällen verlassen, weil ihr Anblick doch ein schlechtes Licht auf Goethe werfen würde, aber immerhin. In seinem Haus war es auch, wo sie während der napoleonischen Besatzung den eindringenden Soldaten entgegentrat und sie so lange aufhielt, bis Goethe mit einem eigenen Bittgang den offiziellen Schutz des französischen Kommandanten erreichen konnte. Diese Heldentat hat Goethe wohl so sehr beeindruckt, dass er sie ein paar Tage später sogar heiratete.
    Jahre später, nach den Verwüstungen von zwei Weltkriegen, mussten selbst die unverbesserlichsten Nostalgiker zugeben, dass das Mittelalter endgültig vorbei war und die Deutschen endlich einen modernen Staat schaffen mussten.
    Mit einer Träne im Augenwinkel ging man ans Werk, und schon bald erhob sich die wichtigste Frage: Wie retten wir die geliebte Bittstellerei in die moderne Welt herüber? Man kam auf zwei Möglichkeiten – eine im Osten, eine im Westen –, die so gewagt wie genial waren.
    Die DDR war die logische Fortsetzung des feudalen Staates in der Moderne. Nicht einmal im Feudalismus gab es eine so innige Beziehung zwischen Volk und Obrigkeit, nicht einmal der mittelalterliche Bauer hat so viel Verantwortung für das eigene Leben an den Staat abgegeben, und kein mittelalterlicher Fürst konnte je so großzügig und streng sein wie Ulbricht, Honecker & Co.
    Denn die DDR schenkte dem Volk die »Eingabe«.
    Ich rief Jochen Staadt an der Freien Universität Berlin an. Er ist Projektleiter des Forschungsgebietes DDR und wusste einiges über das neuzeitliche Bittschrift-Phänomen »Eingabe« zu sagen.
    »Das Eingabewesen ist ein institutionalisierter Ort des Meckerns«, beschrieb er es. »Ende der fünfziger Jahre hat Ulbricht das Verwaltungsrecht abgeschafft. Er meinte, der Bürger benötigte nicht das Recht, gegen eine Verwaltungsmaßnahme zu klagen. Stattdessen wurde die Regelung getroffen, dass

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