Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
gewürdigt. Vergebens wartete ich darauf, dass Angie mit Michael Ballack an der einen Seite und Tokio Hotel an der anderen auf eine Bühne in Dresden steigt und ihren von Arbeits- und Hoffnungslosigkeit gebeutelten ostdeutschen Mitbürgern zuruft: »Ich bin stolz, ein Ossi zu sein.« Die Feier blieb aus. Nicht nur das: Solch ein Moment wurde sorgfältig vermieden. Hätte man dieses Zeichen des grundlegenden Wandels im Land gefeiert, wäre damit das wichtigste Gesetz der deutschen Öffentlichkeit übertreten worden: Murren und knurren sollst du.
Das ist der deutsche Meckerimperativ. Sobald es um den Staat geht, ist jede Art von positiver Äußerung verboten. Es ist nicht einmal erlaubt, den Nörgeloutput bei Gelegenheit, zum Beispiel im Sommerloch, ein wenig herunterzufahren. Alle Deutschen haben die patriotische Pflicht, gemeinschaftlich und aus freien Stücken das Gesamtgemecker über den Staat auf einem kontinuierlich hohen Niveau zu halten.
Sie machen das nicht aus Spaß. Das ist die deutsche Art, den Staat zu lenken.
Um den deutschen Meckerimperativ zu verstehen, muss man die feudalen Wurzeln dieses Staates betrachten. Wer in feudalen Zeiten, vor der Erfindung der Wahlkabine und des Zivilgerichts, etwas vom zuständigen Fürsten begehrte, musste es ernörgeln. Weil die Masse der Menschen im Mittelalter und zur Zeit des Absolutismus so gut wie keine Rechte hatte (die meisten durften nicht mal ohne Erlaubnis ihres Herrn heiraten oder den Beruf wechseln), war der Fürst für einen Großteil ihres Schicksals zuständig. Für seine lieben Bauern übernahm der Gute mehr Verantwortung als Gott. Hatte der Bauer Streit mit dem Nachbarn, musste der Fürst entscheiden, wo der Gartenzwerg hin sollte; wollte der Bauer Roggen statt Buchweizen anpflanzen, um auf dem Markt besser konkurrieren zu können, beantragte er Fördergelder vom Fürsten; wollte er vorzeitig in die Rente, musste der Fürst überprüfen, ob das Holzbein des Bauern wirklich in einem so erbärmlichen Zustand war, dass er nicht mehr arbeiten konnte.
Mancher würde vielleicht behaupten, diese Art Beziehung zum Staat sei erniedrigend, denn sie würde den Bauern unmündig halten. Ich sage: Eben das ist das Geniale dran! Je mehr Verantwortung der Staat für das Schicksal des Einzelnen übernimmt, desto weniger Ärger hat der Einzelne. Wer will schon Verantwortung? Wer mag schon Risiken eingehen? Wer liebt die Unsicherheit, die damit einhergeht, dass man auf eigenen Beinen steht? Ich nicht.
Zwischen Fürst und Bauer herrschte eine fast erotische Intimität. Der Bauer suhlte sich in der wohligen Wärme der Verantwortungslosigkeit; es war ihm ein Trost und eine Zuversicht, dass er jemanden hatte, von dem er alles verlangen konnte, und in dessen Schuhe er jede Schuld schieben konnte, falls mal etwas schiefgeht. Und genau wie in allen anderen intimen Beziehungen ist die bevorzugte Art der Kommunikation das stete Herummäkeln.
Die Ur-Form des Nörgelns zwischen Bauer und dem Staat heißt Petition oder Bittschrift. Im idyllischen Ur-Staat hielt der Fürst an bestimmten Tagen des Monats eine Audienz ab und empfing das nörgelnde Volk. Wollte der Bauer mehr Brot, bessere Straßen, einen Kamm für die Läuse seiner Frau oder gar ein neues Holzbein, weil er das alte im Winter verheizt hatte, musste er sich zu den anderen in die lange Schlange stellen, die vermutlich dreimal um die Burg herumreichte. Ich stelle mir vor, dass da erstmal Partystimmung angesagt war; schlussendlich aber, wenn er dann vor den Fürsten trat, musste er natürlich eine möglichst sauertöpfische, leidgeprüfte Miene aufsetzen und sein Problem in einem winselnden, selbstmitleidigen Ton vortragen.
Es ist erstaunlich, wie viel man mit so einer Bittschrift bewegen konnte.
1768 wurde in Pommerzig in der Neumark ein umstrittenes Gerichtsurteil gefällt. Der Pächter einer Mühle, Christian Arnold mit Namen, wurde schuldig befunden, seine Pacht nicht bezahlt und diverse Wasserrechte übertreten zu haben. Herr Arnold schrieb darauf eine Bittschrift an Friedrich den Großen. Dieser Arnold muss überzeugende Worte gefunden haben, denn Friedrich der Große schlug sich auf seine Seite und verwies den Fall an das Berliner Kammergericht, damit endlich richtig Recht gesprochen werde, was da draußen in der Pampa offenbar nicht möglich war. Leider war auch das Berliner Kammergericht der Meinung, dass Herr Arnold ein Querulant, ein Großmaul und ein Gauner vor dem Herrn sei und sprach ihn schuldig. Da wurde
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