Noir
du. Sei nicht zu stolz, meine Liebe anzunehmen.»
Nino schluckte wieder. Er sah es nicht, er spürte es vielmehr – spürte, dass die Bilder verebbten. Noir träumte nicht mehr. Sie war wach und lag mit weit aufgerissenen Augen da, ohne sich zu verraten. Nino löste den Zeigefinger aus seiner Faust, um ihr ein Zeichen zu geben, dass er es wusste.
«Und wie», fragte Nino rau, «wollen Sie mich andernfalls töten?»
«So, dass es wehtut.»
Noirs Hand glitt zur Waffe hinab. In einer fließenden Bewegung, die rasend schnell gehen musste, aber wie in Zeitlupe von ihm wahrgenommen wurde, drehte sie sich um, richtete den Lauf auf den Mann im Sessel und drückte ab.
Der Schuss explodierte in alle Richtungen, prallte gegen die Wände und zersplitterte tausendfach an ihren Trommelfellen. Der Mann wurde in den Sessel zurückgeworfen. Gleichzeitig stürzte eine Gestalt aus dem Nichts – sie war nur für den Bruchteil einer Sekunde zu sehen, bevor sie hinter das Bett fiel. Irgendwo schräg über Nino blitzte etwas auf. Noir schoss ein zweites Mal auf den Mann.
Diesmal erklang ein Schrei. Schwer zu sagen, ob er vom Mann stammte oder von der dunklen Gestalt, die auf Ninos Schoß stürzte. Kaltes Blut bespritzte ihn und das Laken. Die Gestalt rutschte zu Boden, ein Fleischermesser in der erschlaffenden Faust.
Der Mann sprang aus dem Sessel. Plötzlich hatte er ein Hackbeil in der Hand. Nino sah die Klinge im diesigen Morgenlicht wie eine weiße Buchseite auf sich niederfahren.
Ein dritter Schuss. Der Mann wurde zurückgeschleudert, prallte gegen den Spiegel an der Wand und rutschte mit knisternden Scherben zur Erde.
Nino japste nach Luft. Verschluckte sich daran und glaubte zu ersticken. Er konnte gar nicht aufhören, nach Atem zu ringen. Wo die Blutspritzer auf seiner Haut trockneten, ziepte es.
Noir gab ihm die Waffe in die Hand. Wie kühl und rein sich das Metall anfühlte. «Leg sie zurück.»
Er gehorchte automatisch, legte die ungeheuer schwere Waffe zurück in ihr Samtbett und schloss den Deckel. Dabei versuchte er, nicht auf die Leiche zu blicken, die ausgestreckt danebenlag, aber er sah doch hin.
Es war ein Mann in schwarzer Lederkluft, der merkwürdig gealtert schien. Trotz der Falten und Altersflecken wirkten die Augen jugendlich, sein Haar war noch blond und dicht. Nino konnte nicht sehen, wo die Kugel ihn getroffen hatte.
Eine Weile saß er nur da und starrte auf einen Punkt jenseits der Leiche, ohne über etwas Nennenswertes nachzudenken. Er dachte daran, wie schrecklich die Situation ohne STYX wäre, nicht auszuhalten – dann legte sich Noir auf seinen Schoß. Sie fröstelte. Nino fiel auf, dass auch ihr wegspritzende Blutstropfen ein Muster auf Hals und Wange gezeichnet hatten. Je heller es wurde, umso deutlicher konnte man die roten Krusten erkennen. Und er wollte sie nicht erkennen.
Er nahm sie in die Arme und stand auf. Auf dem Weg ins Badezimmer trat er in nassen Teppich. Ihm war, als könnte er die Fasern schmatzen hören, als er den Fuß wieder hob.
Denk nicht dran. Hör auf zu denken.
Aus den Augenwinkeln sah er die dritte Leiche, die hinter dem Bett zusammengebrochen war. Der Schuss hatte ihr das Gesicht zwischen Nase und Auge zerfetzt. Es musste ein junger Mann gewesen sein, kahlrasiert, mit einer Art Halsband um. Sein Mentor lehnte mit grotesk verdrehten Beinen daneben an der Wand.
Mit dem Ellbogen knipste er das Licht und die Belüftung an.
Er setzte die zitternde Noir auf den Klodeckel, strich ihr über die Haare und drehte die Dusche an. Als das Wasser die richtige Temperatur hatte, nahm er Noir und stellte sich mit ihr in voller Kleidung unter den Wasserstrahl. Die Farbspritzer auf ihren T-Shirts, auf ihrer Haut wurden von Rost zu Rosa. Noir stand apathisch im Dampf, bis sie sich und ihn plötzlich auszog. Die vollgesogenen Stoffstücke klatschten in die Wanne. Noir schmiegte sich an ihn, ihr Atem eisig im heißen Wasser.
«Ich kann nicht», murmelte Nino. Noir drückte ihm die Finger in die Schultern, Schauder erschütterten sie.
«Du bist weg.» Sie klang schrill und hoch wie ein Kind, das in den Brunnen gefallen ist. «Du hast Angst, du hast nur Angst, da ist keine Liebe … du lässt mich allein!»
«Was? Noir, ich bin da!»
Sie rutschte an ihm ab, als würde sie sich auflösen, und umschlang seine Hüfte. Er stöhnte. Ihr Mund war kalt. Dann nur noch kühl. Schließlich hatte sie sich seine Wärme einverleibt, und auch ihm war fiebriger zumute als vorher. Hilflos setzte
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