Noir
gewesen wäre. Sie war jetzt ein zweiter Körper, den er mit Blut versorgen musste, aber die Adern verengten sich immer wieder, wurden so eng, dass nur STYX half, sie wieder zu weiten.
Zwischen den Bildern von Noirs Erinnerung tauchte immer wieder Jean Orin auf, wie er in der orangefarbenen Arztjacke ins Zimmer stürmte, lachend, ohne einen Funken Mitleid. Amor hob einen Stein und wollte Nino den Schädel einschlagen.
Nino blinzelte angestrengt. Monsieur Samedi löste sich in nichts auf. Auch Amor verschwand. Aber das musste ja nichts heißen. Vielleicht hatte er nur seine Zigarette ausgemacht. Nino blinzelte, bis ihm die Augen schmerzten. Irgendwo polterte es. Gedämpfte Schüsse. Dumpf aufprallende Tannenzapfen. Neben dem Bett war der Koffer mit dem STYX – und die schwarze Lederkiste.
Die Kugeln sind für Jean Orin bestimmt.
Er schwitzte. Hinter seiner Stirn dehnte sich eine meilenweite Mondlandschaft aus. Wenn Noir schon halb aufhörte zu existieren, wenn er ihr den Nagellack abnahm, nach dem Jean Orin sie benannt hatte, was würde dann aus ihr werden, wenn er starb? Wenn man ihm drei Kugeln in den finsteren Schädel jagte? Es würde Öl aus seinem Schädel rinnen, kein Blut, nur zäher, schwarzer Sud, gepresst aus den Jahrzehnten des Bösen. Nino bebten die Muskeln, so sehr drängte es ihn, diesen Sud aus Monsieur Samedi herauszuschießen. Die Mordlust erschreckte ihn selbst, irgendwo hinter den Nebeln des STYX .
In der Dunkelheit erklang ein Klicken. Und kurz darauf noch eins. Eine Schusswaffe, die entsichert wurde.
Nino zog den Arm unter Noir hervor, beugte sich aus dem Bett und griff nach Amokes Box. Das Leder glitt ihm immer wieder aus den Fingern, so glatt und schmierig war es. Dann hatte er den Verschluss geöffnet. Da, im Samt, ertastete er den Metalllauf.
Er nahm die Waffe. Wie schwer sie sich anfühlte. Er wusste nicht einmal, ob sie geladen war, geschweige denn, wie sie geladen wurde. Er ließ sie neben seiner Hüfte ins Laken sinken und fuhr mit dem Finger über den Abzug. Die Bewegung wäre minimal. Ein Leben auslöschen, als würde man eine Lampe ausknipsen. Einen Wecker betätigen und den Traum platzen lassen.
Durch die Vorhänge schimmerte die sterbende Nacht. Mit der steigenden Helligkeit erkannte er immer deutlicher, dass im Sessel neben dem Fenster ein Mann saß.
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29 .
N ino regte sich nicht. Starr wie ein Toter wartete er das Schwinden der Dunkelheit ab, die Augen fest auf den Umriss im Sessel gerichtet. Unendlich langsam stieg das Licht im Raum um ein paar Grad, bis Nino erkannte, dass es unmöglich ein Schatten sein konnte. Da saß jemand.
Kaum war er sicher, bewegte sich der Fremde. Wieder erklang ein Klicken, das alle Poren seines Körpers öffnete und Schweiß austreten ließ.
Die Flamme eines Feuerzeugs glomm auf.
Der Mann im Sessel zündete sich eine Zigarre an. Der Rauch selbst schien zu lumineszieren und bepuderte den Mann mit Helligkeit. Er war kahl, breitschultrig, gekleidet in einen Ledermantel.
«Lass die Waffe los.» Ein leichter Akzent schwang in seiner Stimme mit, mehr an der Satzmelodie denn der Aussprache festzumachen.
Nino zog die Hand von der Waffe, um sich in eine Sitzposition aufzustemmen. «Wer –»
«Das wird kein Frage-und-Antwort-Spiel.» Der Sessel knautschte, als der Mann die Beine überschlug. «Du wirst nicht lange genug im Spiel bleiben, um die Regeln verstehen zu müssen. Der Zigeuner hat dich nicht gewonnen. Auch der Negerin ist es misslungen. Und jetzt habe ich dich gefunden, vielmehr bist du in mein Reich gekommen. Dein Fehler. Ich versuche dich nicht zu täuschen. Ich lasse dir die Wahl. Entweder ich transplantiere deine Seele und nehme dich. Oder ich töte dich.»
Nino kniff die Augen zusammen und öffnete sie, als könnte er den Mann einfach wegblinzeln. Obwohl er den Atem anhielt, kroch ihm der Geruch der Zigarre in die Nase, gemischt mit Benzin, mit heißem Reifengummi.
«Wie …» Nino musste schlucken, sein Mund war so trocken, die Zunge klebte ihm am Gaumen wie ein Klettverschluss. «Wie läuft eine Transplantation ab?»
Der Mann schien zu lächeln, aber er hielt das Gesicht weg vom Fenster, sodass Nino nicht sicher war. «Jeder Mensch kann es vollziehen. Aber ich brauche deine Einwilligung, damit es wirklich Liebe ist.»
«Tut es weh?»
«Mit deiner Einwilligung, nein.»
Das Licht von draußen verfing sich auf einem hervorstehenden Eckzahn. Der Mann lächelte tatsächlich.
«Alle brauchen Liebe. Auch
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