Noir
die Armlehnen, während sie weiter durch die blinkende Nacht rasten. «Du wirkst älter.»
«Ich bin schon lange zwanzig.»
Nino registrierte, dass sie inzwischen im Westteil der Stadt waren. Vor ihnen erhoben sich verglaste Bürotürme in den rot gefleckten Nachthimmel.
«Du arbeitest also für Monsieur Samedi.»
Der Zigarettenstummel, den sie aus dem Fenster hielt, flog ihr aus den Fingern. «Warum fragst du?» Ihre Stimme war wieder so zerbrechlich wie vibrierendes Glas.
«Soweit ich das beurteilen kann, bist du kein Junkie. Du müsstest doch was Besseres finden, als für jemanden Drogen zu verkaufen.» Er überlegte. «Du könntest Rennfahrerin werden.»
«Ich
bin
Fahrerin.»
«Du bist Monsieur Samedis Chauffeurin?»
Sie nickte.
Er konnte nicht anders, er musste lachen.
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
«Jemand, der sich einen Maserati zulegt, will selbst fahren. Ein älterer Mann mit Sportwagen lässt nie und nimmer ein zwanzigjähriges Mädchen ans Steuer. Nichts für ungut.»
«Wie viele ältere Männer mit Sportwagen kennst du denn?»
«Ich kenne zwanzigjährige Mädchen.» Ihm war, als würde sie absichtlich beschleunigen, sodass er tiefer in den Sitz gedrückt wurde. «Äh, natürlich fährst du bemerkenswert gut. Wo hast du das gelernt?»
«In den Sportwagen älterer Männer», sagte sie und klang endlich ein wenig amüsiert.
Sie öffnete das Handschuhfach, nahm einen kleinen Handsender heraus. Am Ende der Straße glitt ein Tiefgaragentor auf. Nino schaffte es gerade noch, einen Blick auf das Gebäude zu werfen, bevor sie unter der Erde verschwanden: Es war ein moderner Bürokomplex mit verspiegelter Fensterfront und mindestens zehn Stockwerken.
Sie parkte den Wagen auf einem hochfahrbaren Stellplatz. Das Dröhnen des Motors erstarb. «Steig aus.»
Als er den Gurt gelöst und sich aus dem Sitz gehievt hatte, stand sie bereits ein paar Schritte abseits und zündete sich wieder eine Zigarette an. Dass ein großes Rauchen-verboten-Schild an einer Säule hing und es stark nach Benzin roch, schien sie nicht zu kümmern.
«Hast du deshalb Handschuhe an?», fragte er, als sie zum Aufzug gingen. «Weil du so viel rauchst, dass du schon gelbe Nikotinfinger bekommst? Zeig mal.» Er griff nach ihrer Hand und wollte den Handschuh herunterziehen, doch sie riss sich mit erstaunlicher Kraft los.
«Tu das nie wieder.»
Neben dem Lift war eine Tastatur, in den sie einen sechsstelligen Code eingab. Die Türen glitten mit einem Läuten auf. Es war ein prachtvoller Aufzug – aber trotzdem ein Aufzug.
Sie bemerkte sein Zögern und trat in die hinterste Ecke, um ihm Platz zu machen. Er sah sein eigenes, golden beleuchtetes Spiegelbild an der Wand gegenüber. Dafür, dass er auf Drogen war und gerade von einem Auto in einen Aufzug kam, sah er noch relativ frisch aus.
Er hielt die Luft an, überwand seine Angst. Mit sanftem Grollen schlossen sich die Türen hinter ihm.
«Welcher Stock?», fragte er. Der erste, bitte.
Bitte
.
Sie gab wieder einen Code ein. Auf der Anzeigetafel leuchtete eine 17 auf.
«Dachgeschoss.»
Er schloss die Augen. Als er sie Sekunden später wieder öffnete, erklang das Läuten des Aufzugs, und die Türen glitten zur Seite. Statt eines Hausflurs, wie Nino erwartet hätte, lag ein verglaster Raum vor ihnen – sie waren direkt in der Wohnung angekommen.
Sie ging auf die einzige Tür im Glas zu und öffnete abermals mit einem Code. Beim Hindurchtreten sah er, dass das Glas so dick war, dass es mit Sicherheit keine Kugeln durchließ. Wie in einem James-Bond-Film.
«Was will Monsieur Samedi von mir?»
«Er wird es dir sagen. Komm.»
Der Boden war mit großen, schwarzen Marmorplatten ausgelegt. Rechts konnte man durch eine fünf Meter hohe und mindestens doppelt so breite Fensterfront das Panorama der Stadt sehen. Es gab eine offene Küche, die so steril aussah wie ein OP -Saal, und eine eingebaute Bar mit matt beleuchteten Flaschen. Hinter einem Durchgang konnte Nino ein Wohnzimmer erkennen, in dem ein Kaminfeuer brannte. Gegenüber führte eine minimalistische, scheinbar frei in der Luft schwebende Wendeltreppe in ein höheres Stockwerk.
«Ist die Wohnung WG -tauglich?»
Sie warf ihm einen befremdeten Blick zu.
«Also nicht. Schade. Sonst würde ich sie nehmen.»
Sie schien zu begreifen, dass er aus Verlegenheit einen Witz gemacht hatte, und lächelte beinah. Dann bedeutete sie ihm, zur Bar mitzukommen, und drückte ihre Zigarette in einem gläsernen Aschenbecher
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