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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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wie oft er sie noch verlieren konnte, bevor er starb. Kein Mal. Kein einziges Mal mehr.
    Itsi tauchte vor ihm auf, in den Händen vier Gläser randvoll mit Wodka. Er verteilte sie an Julia, Philip und Nino, der es abwesend nahm, während er die Menge nach ihr durchsuchte.
    «Danke!», brüllte Julia. Zu viert stießen sie an und kippten sich den Inhalt der Gläser in den Mund.
    «Ist nicht von mir!», brüllte Itsi mit verzerrtem Gesicht zurück. «Der Typ hat sie mir ausgegeben!» Er wies zur Bar.
    Nino drehte sich um, eine schreckliche Ahnung im Nacken. Und tatsächlich: An der Bar stand Amor.
     
    Er lächelte ihnen zu und hob ein Schnapsglas, das er in einem Zug leerte, ohne eine Miene zu verziehen. Zwischen den schwarzen Fingern der Lederhandschuhe glomm eine Zigarette.
    Plötzlich erschien sie hinter ihm. Es sah aus, als würde sie ihm etwas sagen, aber Amor blickte weiter mit seinem merkwürdigen, schwer erkennbaren Lächeln zu Nino herüber. Sie drehte sich um und ging.
    Auch Amor stand auf und schritt zum Ausgang. Zog er an seiner Zigarette, oder gab er Nino ein Handzeichen, dass er ihm folgen sollte? So oder so drängte Nino sich an den Tanzenden, den Anstehenden bei der Garderobe und der Kasse vorbei, sprang die Stufen in drei Sätzen hinauf und lief auf die Straße.
    «Hier, Nino Sorokin.»
    Er fuhr herum und entdeckte Amor, der neben dem Clubeingang an der Wand lehnte. Nun stieß er sich mit dem Fuß von der Mauer ab und kam auf ihn zu.
    «Woher kennen Sie meinen Nachnamen?»
    Amors Blick irrte neugierig über sein Gesicht. «Sie schwitzen, Ihre Pupillen sind geweitet. Wenn ich mich nicht irre, strahlt Ihr Körper überdurchschnittlich viel Wärme aus.» Er zog an seiner Zigarette. « STYX ist eine wunderbare Sache, nicht wahr? Monsieur Samedi hat ein Näschen für talentierte Chemiker.»
    «Was ist STYX ?», fragte Nino, einerseits, um seinen Drogenkonsum zu leugnen, andererseits, weil er es wirklich wissen wollte.
    Amors Zähne waren kurze, scharfe Stümpfe, als er lächelte, aber es fiel Nino immer noch schwer, einzelne Merkmale seines Aussehens an ihm festzumachen.
    «Neugier ist wie eine Achterbahnfahrt. Man bezahlt meistens teuer, einem wird schlecht, und im besten Fall landet man da, wo man eingestiegen ist.» Er zündete sich eine weitere Zigarette an der bereits brennenden an und fuhr dann fort: «Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass praktisch alle Lebensformen von Neugier getrieben sind? Sei es eine Pflanze, die ihre Wurzeln immer tiefer in die unbekannte Erde streckt, oder ein Wurm, der über eine Straße kriecht. Und dabei führt Neugier fast immer ins Verderben. Wieso hat die Evolution also nicht längst die Neugier abgeschafft? Einzige Erklärung wäre, dass Stillstand noch schlimmer ist. Eine Gazelle, die vor einem Gepard flieht, lebt vielleicht zehn Sekunden länger als eine, die sich, sagen wir, aus gründlichem Erwägen ihrer Chancen einfach ergibt. Zehn Sekunden länger wird diese Gazelle den Duft der blühenden Gräser riechen, die Sonne auf ihrem Fell spüren. Und die erfreuliche Kraft ihrer eigenen Muskeln, ihr pumpendes Herz, vielleicht sogar den reizvollen Drang, aus Angst urinieren zu müssen. Die Neugier auf zehn Sekunden Leben ist stärker als die Vernunft, stärker als die Faulheit, stärker als die Resignation.»
    «Ich würde das Instinkt nennen», erwiderte Nino. Aber das reichte nicht, um Amors Lächeln ins Wanken zu bringen.
    «Genau was ich meine. Neugier ist Instinkt.» Amor wies die Straße hinunter. Er hielt einen kleinen schwarzen Gegenstand in der Hand. Nicht weit entfernt piepte ein Auto.
    Nino war alles andere als ein Fan von Autos, aber als er sah, welcher der parkenden Wagen aufblinkte, klappte ihm ein wenig der Mund auf.
    Es war ein Sportwagen in spiegelglänzendem Schwarz, wie für einen futuristischen Film entworfen. Ein Panther hätte zwischen den anderen Autos nicht surrealer wirken können als dieser Wagen.
    Amor betrachtete ihn lauernd. «Ein Maserati. Hätten Sie Lust auf eine Spritztour?»
    «Leider fahre ich nicht.»
    «Jemand wird Sie fahren.»
    «Nein, ich fahre generell nicht –»
    Er warf den Schlüssel, aber nicht zu Nino.
    Durch das Käppi und den Pullover halb vermummt, schlich sie über die Straße, fing den Schlüssel, ohne Nino aus den Augen zu lassen, und öffnete die Fahrertür. Geschmeidig stieg sie ein und rauchte durch das heruntergefahrene Fenster.
    Nino schluckte trocken. «Arbeitet sie auch für Monsieur Samedi?»
    «Fragen Sie

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