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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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aus.
    «Willst du etwas trinken?», fragte sie leise.
    Erst wollte er Ja sagen, aber dann erinnerte er sich, dass Monsieur Samedi ihn sehen wollte, und entschied sich, lieber nüchtern zu bleiben. So nüchtern jedenfalls, wie man mit einem halben Gramm STYX im Blut noch sein konnte.
    «Nein, nichts, danke. Wohnst du hier?»
    Stumm erwiderte sie seinen Blick, als wartete sie auf die richtige Frage – oder eine Antwort von ihm. Er konnte sie einfach nicht deuten.
    «Warte bitte», sagte sie mit ihrer fernen Stimme und glitt hinter der Bar hervor, um im anliegenden Wohnzimmer zu verschwinden.
    Bald hörte er ihre Schritte nicht mehr. Die Wohnung war still wie ein Grab. Draußen glommen Lichterketten von Autos, die kaum größer wirkten als Blutkörperchen. Er sah zum verglasten Eingang zurück. Hatte sie wieder abgesperrt, als sie hereingekommen waren? Die Vorstellung gefiel ihm ganz und gar nicht. Überhaupt, dass der einzige Weg nach draußen der Aufzug war.
    Plötzlich tauchte sie neben der Bar auf – er hatte nicht gehört, wie sie zurückgekommen war.
    «Ich bringe dich zu ihm.»
    Er folgte ihr durch das Wohnzimmer. Der Kamin in der Mitte des Raumes glich eher einer Feuerstelle. Auch wenn das nüchterne Design einen anderen Eindruck erwecken wollte, wurde sie bestimmt für irgendwelche archaischen Rituale benutzt. Links verschmälerte sich der Raum zu einem muschelförmigen Gang. Dahinter verbarg sich ein Salon mit eingebauten Bücherregalen, orientalischen Liegen und einem Tischchen, auf dem Monsieur Samedi gerade ein Teeservice arrangierte.
    Er trug ein weißes T-Shirt, aus dessen Ausschnitt Brusthaar quoll, und graue Stoffhosen. Der Marmorboden musste eiskalt sein, dennoch war er barfuß. Als er sie eintreten sah, richtete Monsieur Samedi sich auf und hielt Nino die Hand hin. Ein dicker Reif aus Platin umschloss sein Gelenk, ein Dutzend Ringe steckte an den Fingern.
    «Nino Sorokin!» Das flächige Gesicht des Arabers öffnete sich zu einem Lächeln. Seine Augen blieben schwarze Monde, glatt und ohne Tiefe. «Gut, dass du zu mir gefunden hast.»
    Er umschloss Ninos Hand mit beiden Pranken und schüttelte sie, als würde die Hand mehr mit ihm kommunizieren als der Mensch, der daran hing.
    «Ja, hallo. Zu Ihnen gefunden, das ist eine interessante Art, es auszudrücken.»
    Monsieur Samedis Lächeln blieb unverändert, als hätte er ihn gar nicht gehört. Noch immer hielt er seine Hand, doch er schüttelte sie nicht mehr, was noch beunruhigender war.
    «Gibt es einen Grund, weshalb Sie mich in Ihre Wohnung bringen lassen?»
    Die Sekunden der Stille, während sich ihre Hände umschlossen, schienen unerträglich lang.
    Dann sagte Monsieur Samedi: «Dies ist nicht meine Wohnung. Ein Freund, dem ich einen Gefallen getan habe, hat sie mir für die Dauer meines Aufenthalts überlassen.»
    Er ließ ihn unvermittelt los, um auf die Liege zu deuten. «Bitte. Setz dich.»
    Nino gehorchte. Er konnte gar nicht anders. Die Höflichkeit des Arabers hatte etwas Zwingendes an sich. Ohne zu fragen, schob Monsieur Samedi eine silberne Teetasse vor ihn und goss ein dampfendes, bernsteinfarbenes Gebräu ein. Sich selbst mischte er drei großzügige Löffel braunen Zucker unter und stellte die Zuckerdose dann vor Nino.
    «Danke», sagte er, ohne den Zucker anzurühren. Stattdessen drehte er sich um, weil sie sich noch nicht dazugesetzt hatte.
    Als er sah, dass sie mit den Armen hinter dem Rücken an der Wand lehnte, richtete sie sich auf und warf Monsieur Samedi einen Blick zu. Dann verließ sie ohne ein Wort, fast ohne Geräusch, den Raum.
    «Nimm Zucker», befahl der Araber freundlich.

[zur Inhaltsübersicht]
17 .
    W iderstrebend rührte Nino in seinem Tee. Das Klackern ihrer Löffel in den Tassen schien das einzige Geräusch in der ganzen Wohnung zu sein. Ihm fiel ein, dass das Feuer im Wohnzimmer gar nicht geknackt oder gezischt hatte.
    «Du wirkst nervös», bemerkte Monsieur Samedi sanft. «Kann ich dir STYX anbieten? Ich lade dich ein.»
    «Nein, danke.»
    Der Araber lächelte ohne Hinterlist. «Du zeigst Charakterstärke. STYX ist ein Wundermittel, es verdient großen Respekt. Es kann die Symptome eines schwachen Charakters lindern. Aber niemals einen starken Charakter ersetzen. Bitte. Trink deinen Tee.»
    Nino wollte nicht, aber er merkte, dass eine Ablehnung ihm nicht gelang. Es war fast wie ein Zauber; solange Monsieur Samedi ihn wie einen Freund behandelte, konnte er sich ihm nicht widersetzen. Er hob das zierliche

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