Noir
irgendwelche Tiere aufschlitzen, tut mir leid.»
Monsieur Samedi lachte schallend. Er hatte leuchtend rosafarbenes Zahnfleisch. «Keine Sorge, Sorokin! Opfer sind nur bei großen Séancen erforderlich, an denen viele Unbegabte teilnehmen. Jemand wie ich oder du hat es nicht nötig, die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits mit einem Gewaltakt zu sprengen, um die Verbindung herzustellen. Wir haben die Verbindung bereits in uns.»
Nino lehnte sich zurück. Er durfte nichts Falsches sagen. Schon gar nicht einwilligen. Er musste die richtigen Fragen stellen, um die Gefahr auszuloten.
«Sie verkaufen Drogen. Damit will ich nichts zu tun haben.»
«Was meinst du? Wie kommst du darauf?» Der Araber starrte ihn an, dann nahm er einen Schluck Tee. Er rollte die Lippen nach innen und nach außen. «Ich unterstütze verschiedene wissenschaftliche Labors. Aber das geht dich nichts an. Was ich neben den Dingen tue, die wir gemeinsam tun,
geht dich nichts an
. So wie mich Katjuschas Beziehung zu Simone nichts angeht.»
Nino erstarrte. Monsieur Samedi hatte ihn bespitzeln lassen.
«Sie wollen mich einschüchtern.»
Wieder schmunzelte der Araber. «Aber ich will dich doch nicht einschüchtern mit meinem Wissen. Ich biete dir im Gegenteil an, mein Wissen mit dir zu teilen.»
Nino atmete aus. «Was wollen Sie dafür?»
«Nichts. Dich.»
«Mich?»
«Wenn ich ein Maler wäre und du der einzige Mensch auf der Welt wärst, der so talentiert wäre wie ich, würde ich dir das Malen beibringen.»
«Was hätten Sie davon?»
«Ich käme in den Genuss, deine Entwicklung zu beobachten. Und ich könnte stolz darauf sein, zu deiner Förderung beigetragen zu haben.»
Nino nickte. So wie der Araber wissenschaftliche Labors förderte, würde er auch ihn fördern. Damit er eines Tages für ihn Séancen abhielt und abenteuerlustigen Partygängern dreißig Euro für eine Pille und ein geschlachtetes Huhn abknöpfte.
Nino bemühte sich, eine nachdenkliche Miene beizubehalten. Der Araber durfte nicht merken, dass er keinerlei Interesse daran hatte, irgendetwas mit ihm zu tun zu haben. Er musste sich herausreden. Bedenkzeit fordern. Nach Hause gehen und versuchen, ihm nie wieder über den Weg zu laufen.
Aber dann musste er auch ihr aus dem Weg gehen. Seiner
Fahrerin
.
Monsieur Samedi lehnte sich zu ihm vor und legte die Handflächen aneinander. Das Lächeln, das in seinen Mundwinkeln hing, passte nicht zu dem forschenden, eindringlichen Blick. «Wir werden gemeinsam Gläserrücken spielen. Nur du und ich. Etwa zweimal die Woche, die Zeit überlasse ich dir.» Er legte den Kopf schief. «Bisher hast du nur mit deinen Freunden gespielt, nicht wahr? Keiner von ihnen hat ein Talent dafür. Deshalb waren die Antworten so diffus. Wegen ihrer mangelnden Fähigkeit. Sie dämpfen deine Verbindung. Wir beide aber würden uns gegenseitig unterstützen! Das Glas würde mit uns kommunizieren wie ein echtes Gegenüber. Wie ein Freund.»
Nino beobachtete die dunklen Augen. Da war nur Spannung, Konzentration. Monsieur Samedi war voll und ganz auf ihn fixiert und nicht auf sich selbst, so konnte Nino auch nichts in ihm lesen.
«Wenn Sie mir sagen, was Ihre Fragen sind», sagte Nino leise.
«Von mir aus. Erfahren hättest du sie früher oder später ohnehin. Das sind die Fragen, die mich verfolgen: Was das Jenseits ist. Und welche Wege zurück ins Diesseits führen.»
Nino musste mehrere Sekunden nachdenken, ehe er die Bedeutung der Worte erfasste. Er schluckte. Als er zu sprechen ansetzte, klang er merkwürdig unecht. «Sie wollen unsterblich werden.»
Ein Lächeln flog über Monsieur Samedis Gesicht, doch es schien weniger denn je mit ihm zu tun zu haben, so wenig wie der Schatten eines Vogels, der in weiter Höhe über jemandem kreist. «Ich würde nicht so weit gehen, das zu behaupten. Unsterblich ist nichts. Und dennoch ist etwas Unendliches in allem. Ohne konkreten Nutzen für mich selbst möchte ich alles herausfinden, was es über das Jenseits zu wissen gibt.»
Nach einer Weile fuhr er fort: «Neugier ist ein merkwürdiger Instinkt, nicht? Die Sehnsucht nach Wissen, welches weder notwendig noch nützlich sein muss. Neugier ist die Triebkraft des Lebens. So unaufhaltsam. Und so sinnlos.»
Nino stützte den Kopf in die Hände. In nüchternem Zustand hätte er vielleicht durchschaut, was Monsieur Samedi wirklich von ihm wollte, jetzt aber hatte er nur das dumpfe Gefühl, ihm nicht trauen zu dürfen.
«Ich würde gerne eine Nacht darüber
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