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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Immerhin fuhr er zu Monsieur Samedi, um Antworten zu sammeln. «Ich glaube,
alles
würde unendlich viele widersprüchliche Antworten beinhalten, sodass man genauso gut gar nichts wissen könnte.»
    «Alles und Nichts scheinen dasselbe zu sein», murmelte Noir. «Aber wenn alles wissen in Wirklichkeit so ist wie gar nichts wissen, wo ist dann der Sinn?»
    Sie verfielen in Schweigen.
    «Ich glaube», fuhr sie dann fort, «dass Alles und Nichts wie ein und dasselbe wirken, es aber nicht sind. Wenn man alles weiß und alle Widersprüche als Wahrheit anerkennen kann, dann wird man meinungslos wie jemand, der noch zu keiner einzigen Wahrheit gefunden hat. Aber eben aus ganz anderen Gründen.»
    «Das denke ich auch.» Er betrachtete sie im Profil. «Und ich denke, du bist nicht zwanzig.»
     
    Wie beim letzten Mal erwartete Monsieur Samedi ihn im abgedunkelten Kaminzimmer. Der Schein der Flammen ließ Schattengespenster um den Tisch und die zwei Stühle tanzen, sodass Nino im ersten Moment meinte, Monsieur Samedi sei nicht allein. Da war Bewegung, wo kein Leben war, und es verlieh der Umgebung eine unheimliche Aura.
    «Sorokin», sagte Monsieur Samedi in fast zärtlichem Ton. «Bitte. Setz dich.»
    Er selbst streifte das offene Seidenhemd ab und entledigte sich seiner Hose. Nino wandte den Blick ab, bevor er sehen konnte, was für Unterwäsche der Araber trug. Mit glühenden Ohren bückte er sich zu seinen Schuhen hinab und nestelte an den Schnürsenkeln, bis Monsieur Samedi ebenfalls Platz nahm und seine knotigen Beine unter den Tisch schob. Nino richtete sich wieder auf und zog seinen Pullover aus.
    «Kann losgehen», sagte er gegen die peinliche Stille. Er würde sich nie daran gewöhnen, mit dem Araber nackt an einem Tisch zu sitzen. Schon gar nicht, wo er nun wusste, dass Noir … Aber die Vorstellung, wie sie diesen haarigen, fleischigen Oberkörper berührte, war so unerträglich, dass er zwanghaft anfing, an irgendetwas anderes zu denken, an Stillleben von van Gogh, an Werbeslogans und die Melodie des Kinderlieds, dessen Text ihm wohl nie wieder einfallen würde.
    Monsieur Samedi verschränkte die Hände ineinander. «Letztes Mal habe ich das Fragen ganz und gar dir überlassen. Diesmal möchte ich, dass wir es gemeinsam tun. Wir wollen Erkenntnis und Unsterblichkeit: alles wissen, ohne sterben zu müssen.»
    Nino nickte langsam. Besser hätte er es nicht zusammenfassen können, aber so auf den Punkt gebracht, klang es ganz schön größenwahnsinnig. Er spürte ein albernes Lächeln in den Mundwinkeln.
    «Fürchte nicht deine eigenen Wünsche, Sorokin! Wir sind mit Neugier ausgestattet. Dieser Neugier müssen wir folgen, alles andere wäre eine Lebensverweigerung.»
    «Ja. Ich weiß nur nicht …» Er biss die Zähne zusammen.
    «Was?»
    «Ich weiß, dass ich sterben werde. Wenn ich jetzt irgendwie herausfinde, dass ich mein Schicksal ändern kann … dann wäre ich mein eigener Gott.»
    «Wer wäre denn sonst dein Gott? Wen würdest du vom Thron stoßen?»
    «Ich weiß nicht. Irritierend genug herauszufinden, dass es überhaupt einen Thron gibt.»
    Monsieur Samedi nickte mit leicht geöffnetem Mund, und plötzlich erinnerte er Nino an ein Raubtier. Ein Raubtier, dessen Intelligenz nichts daran änderte, dass es seinen Hunger stillen musste. «Du darfst dich nicht vor Veränderungen fürchten – vor allem nicht davor, sie selbst vorzunehmen. Das Einzige, was du fürchten musst, ist der Stillstand. Das ist der wahre Tod.»
    «Manipulieren Sie mich?» Nino hatte keine Ahnung, warum ihm diese Frage herausgerutscht war. Eine ehrliche Antwort konnte er schließlich kaum erwarten.
    «Hast du erst jetzt herausgefunden, dass wir es können?» Der Araber lachte. «Keine Sorge. Ich kann nicht in dein Bewusstsein eingreifen, ohne dass du es merkst. Immerhin ist es deine Besonderheit, dass du dir über die Vorgänge bewusst bist, die bei anderen Menschen im Tiefen, Unsichtbaren geschehen. Wir sind wach, wo andere träumen.»
    Nino nickte, obwohl der Zweifel blieb. Aber war nicht genau dieser Zweifel der beste Beweis, dass der Araber sein Innenleben nicht beeinflussen konnte?
    «Wollen wir nun beginnen?» Monsieur Samedi zückte seinen Dolch.
    Es dauerte nur Sekunden, bis das Glas sich unter ihren blutigen Fingerspitzen in Bewegung setzte. Nino versank in einem Meer zarter Berührungen; was auch immer vom Glas Besitz ergriff, es liebte ihn mehr, als jeder Mensch vermocht hätte. Weil er so von diesem Gefühl eingenommen

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