Noir
natürlich nicht entschärfte.
Sie starrte ihn an. Aber sie sagte nichts. Das war schlimmer als jeder bissige Widerspruch, denn jetzt hatte er Gewissheit, dass sie nicht für Monsieur Samedi
arbeitete
. Was nur noch wenige andere Gründe übrig ließ, weshalb sie bei ihm war.
Er beäugte sie skeptisch und versuchte eine Ähnlichkeit zwischen ihr und dem Araber festzustellen. Aber weder ihre Hautfarbe noch ihre Gesichtszüge ließen auf eine egal wie ferne Verwandtschaft schließen.
«Bist du die adoptierte Tochter seines verstorbenen Großcousins?»
«Was?»
«Du bist doch nicht …» Er konnte es kaum aussprechen. «Ist er dein
Freund
?»
Noirs Augen waren unergründlich.
«Und dann sagst
du
mir, dass Geld keine Rolle spielt?» Er lachte, obwohl ihm nie elender zumute gewesen war.
Die Kellnerin stellte die Pancakes und Getränke lieblos auf ihrem Tisch ab. Nino beachtete es gar nicht. Er fühlte sich ohnehin zu schwach, um jetzt noch zu essen. In sich zusammengesunken wie Noir, saß er da und starrte sie über die Teller hinweg an.
Schließlich nahm er seinen Mango-Shake und trank einen großen Schluck durch den Strohhalm.
«Wie alt ist er?»
«Wer?»
«Monsieur Samedi. Wie heißt er überhaupt?»
«Ich weiß nicht.»
«Nennst du ihn etwa Monsieur Samedi?» Fast lachte er wieder.
«Nein.»
«Wie denn dann?»
«Ich darf es nicht verraten.» Sie schüttelte den Kopf. «Die Dinge sind nicht so einfach. Es gibt nicht für alles eine Schublade.»
Er stöhnte und lachte zugleich. «Das also. Ihr liebt euch, aber ihr seid eigentlich nur Freunde – Seelenverwandte, stimmt’s? Hab ich schon hundertmal gehört.»
«Es passt auch nicht in diese Schublade.»
«Oh, natürlich. Was ihr habt, ist ganz und gar einzigartig.»
«Einzigartig nicht. Aber selten.»
Als er die Gabel in die Hand nahm, machte sie es ihm nach. Gleichzeitig nahmen sie den ersten Bissen, nur dass sie sich fast einen halben Pancake in den Mund stopfte und ungeschickt mit Blaubeersoße beschmierte. Sie kaute und schluckte, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und wirkte auf etwas ganz anderes als das Essen konzentriert. Als er fertig war, legte auch sie das Besteck beiseite.
Er seufzte. «Tut mir leid. Es geht mich nichts an. Es ist nur … ich verstehe es nicht. Er ist …» Ein verdammter Psycho, vielleicht hatte er Noir einer Gehirnwäsche unterzogen. War das möglich? Der einzige andere Grund wäre Geld. «Und gerade noch sagst du mir, Liebe will mit nichts anderem als Liebe entlohnt werden.»
Sie nickte. «Du kannst es nicht verstehen.»
Lange beobachtete er ihr Gesicht, das so offen und leer war wie ein Blatt Papier.
«Woher kennen wir uns?», murmelte er schließlich.
Sie holte Luft. Er sah, dass sich ihr Brustkorb hob und senkte. «Ich weiß nicht.» Sie flüsterte beinah.
«Dann fühlst du es auch, ich bilde es mir nicht ein?»
Sie schüttelte den Kopf und blickte aus dem Fenster. «Zu viele Worte. Es bringt nichts.»
«Was meinst du?»
Sie legte ihre Fingerspitzen an den Mund als Zeichen, nicht mehr sprechen zu wollen.
Die Kellnerin legte die Rechnung natürlich, wie erwartet, vor ihn und nicht vor Noir oder zwischen beide. Aber als sie wegen der verlorenen Wette bezahlen wollte, ließ er es nicht zu. Er drückte der Kellnerin einen Zwanzig-Euro-Schein in die Hand und schickte sie damit weg, bevor Noir protestieren konnte. Die Kellnerin zog fluchtartig ab, ohne sich für das üppige Trinkgeld zu bedanken.
Sie verließen das Café, und obwohl Nino keine Lust auf eine Zigarette hatte, stellte er sich mit ihr an den Straßenrand und rauchte. Zum ersten Mal litt er unter ihrer Gegenwart. Sie war unerreichbarer und undurchschaubarer für ihn geworden als zu Beginn, als er gar nichts über sie gewusst hatte. Und trotzdem konnte er sich nicht verabschieden; er rauchte langsam und kostete jede Sekunde aus, die er sie beim Herumstehen beobachten konnte.
«Was machst du heute?», fragte er, als sie ihre Zigarettenstummel austraten. Sie antwortete nicht, als wäre seine Frage einfach kein Teil ihrer Realität.
«Danke für das Frühstück.»
«Wieso ignorierst du mich?»
Sie schüttelte wieder den Kopf und ging über die Straße.
Er lief ihr hinterher. «Was weißt du? Warum kannst du nicht mit mir sprechen?»
«Wenn Monsieur Samedi Zeit hat, hole ich dich ab.»
«Noir …»
Sie blieb mitten auf der Straße stehen, sah zu Boden und in den Himmel. «Vielleicht werden wir noch viel Zeit miteinander verbringen, sehr viel
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