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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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da kam er zu mir. »Hast du nicht gehört, dass ich dich gerufen habe?«
    Ich erwiderte: »Tut mir Leid, Vater, ich wusste nicht, dass du etwas von mir wolltest.«
    Er bellte: »Komm her!«
    Natürlich würde er mich verprügeln, wenn ich in seine Nähe kam; deshalb hatte ich nicht vor, mich von meiner Mutter zu entfernen. »Nein«, trotzte ich. Niemand sagte Nein zu meinem Vater. Niemand. Aber er würde mich so oder so umbringen, also konnte ich mich zumindest wehren. Kurz überlegte ich auch, ob ich weglaufen sollte, aber wohin? Früher oder später kriegen die Eltern einen doch – etwas anderes kannte ich nicht.
    Mein Vater ergriff einen Stock, und Mama hob beschwichtigend die Hände und flehte ihn an, sich zu beruhigen. »Schlag sie nicht, sie ist doch noch so klein. Lass uns einfach überlegen, wo die Tiere sein könnten!« Sofort drosch er so heftig auf meine Mutter ein, dass sie quer durchs Gehege flog und zusammenbrach. Blut floss ihr aus Nase und Mund. Da war mir klar, dass er auch sie umbringen würde, wenn ich hinter ihr Schutz suchte.
    In seiner Wut erinnerte mein Vater mich immer an einen zornigen Löwen. Er kannte dann keine Gnade – nichts konnte ihn aufhalten. Löwen sind die Könige der Wüste. Sie liegen den ganzen Tag still da und wenn sie Hunger haben, töten sie anmutig und elegant. Sie beißen ihr Opfer direkt in die Nase oder die Kehle, und der Tod tritt augenblicklich ein. Für gewöhnlich sind sie ruhig und würdevoll, aber eins hassen sie – belästigt zu werden, vor allem von Hyänen. Einmal habe ich beobachtet, wie eine Hyäne einen goldenen Löwen foppte. Er lag ganz ruhig da, aber plötzlich hatte er genug. Im Sprung zermalmte er den Quälgeist mit einem einzigen Prankenhieb. Dann schüttelte er die Hyäne in seinem Maul und warf sie weg.
    Je älter man wird, desto mehr muss man loslassen. Das wollte ich meinem Vater vor Augen halten, und wozu eine Frau in der Lage war – wie eine Frau sich selber ein gutes Leben bereiten konnte.
    Bei der Landung in Abu Dhabi krampfte sich mein Magen zusammen, als ob wir nach tagelanger Wanderung an einen ausgetrockneten Brunnen gelangt wären. Ich hatte so schreckliche Erinnerungen an diesen Flughafen und die Vereinigten Emirate. Hoffentlich würde dieses Mal nicht wieder etwas Schlimmes passieren. Und prompt fehlten Mohammeds und meine Koffer. Wir warteten, bis auch der letzte Gegenstand vom Gepäckband genommen worden war. Fast wäre ich in Tränen ausgebrochen. Wir würden Probleme bekommen, und ich hatte Angst, dass wir den Flug nach Somalia verpassten. Zuerst dachte ich noch, wir hätten an der falschen Stelle gewartet. Schließlich war alles in arabischer Schrift verzeichnet, die ich nicht lesen konnte.
    »Mohammed«, fragte ich, »bist du sicher, dass das hier das richtige Gepäckband ist?«
    »Ja«, erwiderte er. »Ich habe Leute aus unserem Flugzeug gesehen.«
    »Was könnte denn mit unseren Sachen passiert sein?«
    »Ich kümmere mich darum«, erklärte Mohammed auf Somali. »Das schaffe ich schon.«
    »Mohammed, lass mich mit ihnen reden. Ich habe das bereits einmal erlebt – und ich bin viel gereist.«
    Aber er bestand darauf, es selber in die Hand zu nehmen. Er ging zu einer Frau, die in einem kleinen Büro vor dem Gepäckbereich saß. Von draußen sah ich, dass sie nicht die beste Laune hatte, und er konnte ihr offensichtlich nicht erklären, was passiert war. Sie schüttelte den Kopf und wies ein paar Mal nach oben. Wahrscheinlich hatte sie nichts mit dem Gepäck zu tun und konnte da wenig ausrichten. Schließlich schrie Mohammed sie wütend auf Somali an und stürmte hinaus.
    »Bruder«, sagte ich zu ihm, »lass mich mit diesen Leuten reden, du erreichst gar nichts.« Ich wanderte zurück in das Büro, und die Person erklärte mir, der Informationsschalter befände sich in einem anderen Stockwerk.
    »Wir suchen unsere Koffer«, informierte ich den Mann am Schalter, als ich an der Reihe war. Er blickte nicht einmal auf und sagte auch nichts, sondern wies einfach auf einen gegenüberliegenden Bereich des Flughafens. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Sprechen Sie Englisch?« Er machte eine abwehrende Handbewegung. Eindeutig konnte er uns nicht helfen, und ich machte mich auf die Suche nach jemand anders.
    Der nächste Uniformierte sagte: »Reden Sie mit den Angestellten am Gate«, also begaben wir uns den ganzen Weg zum Gate zurück. Das Kleid, das Dhura mir geliehen hatte, war zu lang und ich vergaß, es vorne hochzuhalten. Jedes

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