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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
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denn dann die Ziegen?«
    »Es gibt keine Ziegen in New York.«
    »Und woher bekommt man Milch?«, erkundigten sie sich.
    Ich fragte, ob denn jemand von ihnen mal in New York leben wollte, und leider gingen fast alle Hände hoch. Die Kinder wollten unbedingt weg aus Somalia in den Westen, selbst wenn sie nichts darüber wussten – sie nahmen einfach an, dass es dort auf jeden Fall besser war als daheim.
    Ich fragte den Direktor, wer das Gebäude errichtet hätte. Er erzählte mir, die UNICEF habe den Dorfältesten das Geld für die Ziegel und das Blechdach gegeben. Daraus hatten die Väter dann die Schule für ihre Kinder gebaut. Ali zeigte mir vor dem Gebäude ein Schild von UNICEF. Schon jetzt war der Raum viel zu klein, und immer mehr Kinder standen morgens vor der Tür. Ich fragte ihn, wie die Lehrer bezahlt würden; er berichtete, sie könnten von Glück sagen, wenn sie dreißig Dollar im Monat bekämen, aber jetzt hätten sie schon seit langer Zeit gar nichts mehr erhalten. »Ab und zu kam jemand mit dem Geld vorbei; aber ich weiß nicht, ob es überhaupt noch ein somalisches Bildungsministerium gibt oder ob das Geld von den Vereinten Nationen stammt.«
    »Und wie macht ihr das ohne Bezahlung?«
    »Alle tragen zu unserem Lebensunterhalt bei. Du musst nicht um Essen bitten, wenn du die Eltern in ihren Häusern besuchst; sie teilen bereitwillig alles mit dir. Ich mache mir keine Sorgen darum, dass ich verhungern könnte – aber ohne Gehalt kann ich mir kein eigenes Leben aufbauen, mir kein Haus leisten oder heiraten und Kinder bekommen. Versuch doch mal, ob du etwas für uns tun kannst«, bat Ali mich. »Wir werden nicht bezahlt, und wir haben auch keine Bücher oder andere Lehrmittel. Brauchen könnten wir alles!«
    Als ich aus der Schule trat, spazierte ein alter Hahn über den Schulhof und krähte, als sei er hier der Chef. Wichtigtuerisch pickte er im Staub herum. Die anderen bemerkten ihn wahrscheinlich gar nicht, und genauso geht es Somalia. Die Leute im Westen nehmen mein armes, kleines Land nicht zur Kenntnis.
    Anschließend drängte mich Nhur: »Wir müssen eine Hennabemalung machen, um deinen Besuch zu feiern. Du kannst nicht ohne Henna wieder nach Hause fahren.« Ich freute mich darauf. Es ist eine alte Tradition, mit der die Schönheit einer Frau gefeiert wird. Henna ist ein Symbol der Freude, und man nimmt es vor der Hochzeitsnacht oder nach der Geburt eines Kindes. Auch wenn eine Frau sehr krank ist und von Allah geheilt wird, feiern wir mit Henna ihre Rückkehr ins Leben. Manchmal schmücken Frauen sich damit, wenn sie zu einem Fest gehen.
    »Könntest du es mir auftragen?«, fragte ich Nhur, aber sie weigerte sich. Sie wollte auf ihre Cousine oder die Nachbarsfrauen warten. Da ich jedoch nicht wusste, wann sie vorbeischauen würden, sagte ich: »Warum sollen wir die Zeit vertrödeln? Wir machen es einfach selber.« Ich nahm an, dass sie Hennamuster genauso beherrschte wie alles andere – schließlich hatte sie ihr ganzes Leben im Dorf verbracht. Allerdings fiel mir auf, dass sie keines trug und auch Mama nicht. Hennamuster halten ungefähr zehn Tage – je dunkler und tiefer die Farbe ist, desto länger.
    Gesagt, getan – am Nachmittag kauften Nhur und ich auf dem Markt Henna. Sie vermischte das Pulver mit warmem Wasser und gab ein paar Tropfen Öl dazu, damit es eine cremige Masse wurde. Man muss die Mixtur ungefähr zehn Minuten lang stehen lassen, dann ist sie fertig. Nhur ergriff ein Stöckchen und begann, ein Muster auf meine Wade zu zeichnen. Je mehr sie malte, desto mehr lief alles ineinander, bis ich schließlich fragte: »He, was machst du da?«
    Nhur gab zu, dass sie wirklich keine Hennamuster zu malen verstand. Na ja, sie sollte sich nicht dumm vorkommen, deshalb versicherte ich ihr, es sei schon in Ordnung. Vorsichtig bemalte sie auch mein anderes Bein, und wir unterhielten uns miteinander. Ich bot ihr Orangen an, die ich auf dem Markt gekauft hatte, aber sie lehnte ab. »Als ich mit Aleeke schwanger war, hatte ich solchen Hunger, dass ich dauernd gegessen habe«, erzählte ich ihr.
    Meine Schwägerin warf mir einen traurigen Blick zu. »Ich esse lieber nicht so viel, damit das Baby nicht zu groß wird. Bei meiner Tochter hatte ich eine sehr schwere Geburt. Sie mussten mich aufschneiden, damit das Baby herauskommen konnte, und anschließend wurde der Schnitt wieder zugenäht.«
    Was sollte ich dazu sagen? Mitfühlend tätschelte ich ihr die Hand. Für eine beschnittene Frau ist der

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