Nomadentochter
Gebärvorgang eine Tortur. »Ich bete dafür, dass bei dir alles gut geht«, versuchte ich einen schwachen Trost.
Während sie malte, sang Nhur einen
hoobeyo
, ein Frauenlied. Wir besingen immer unsere kleine Welt.
Oh, meine Tochter, die Männer haben uns Unrecht getan –
In einer Siedlung, in der es keine Frauen gibt,
werden keine Kamele gemolken
und die gesattelten Pferde nicht bestiegen.
Als Nhur mit den Zeichnungen auf meinen Armen und Beinen fertig war, ging ich nach draußen, um sie in der Sonne trocknen zu lassen. Mir war heiß, und weil ich nicht wollte, dass das Henna verwischte, nahm ich meinen Schal ab. Ich wollte nicht ganz verhüllt in der Sonne sitzen, sondern auch ein bisschen meine Farbe intensivieren. Also zog ich mein Kleid hoch, steckte es zwischen den Beinen fest und rollte es an den Schultern hoch. Dann streckte ich Arme und Beine in der wunderbaren somalischen Sonne aus wie eine Eidechse. Zwar sahen meine Beine so aus, als sei ich in einen Eimer mit roter Farbe getreten, aber das tat nichts zur Sache. Es war wundervoll, von Nhur umsorgt und verwöhnt zu werden, von der Schwägerin, die ich lieb gewonnen hatte.
Als ich es mir gerade bequem gemacht hatte, kam mein Bruder Mohammed vorbei und sagte: »Haben sie dich aus der Hütte ausgesperrt?«
Meine Mutter und Nhur hörten ihn und kamen schreiend angelaufen. »Oh, Hilfe! Sieh dir das an, sie hat sich das Kleid bis zur Taille hochgezogen! Was macht sie da bloß?«
Sie tanzten um mich herum wie aufgeregte Hühner, die von einem Hund gejagt werden. Ich blickte sie an. »Nhur, gleich setzt es was! Du hast mir heute schon genug Kummer bereitet.«
»Waris, du kannst so nicht draußen sitzen«, ermahnte Nhur mich eindringlich.
»Lasst mich doch in Ruhe, ihr verrückten Frauen«, maulte ich. »Worüber regt ihr euch eigentlich auf? Wer kommt schon an dieser kleinen Hütte vorbei? Und was soll er sehen?«
Ich musste lachen, aber sie seufzten nur. »Oh, sie wird sich nie ändern, es wird immer schlimmer mit ihr. Sie ist noch verrückter als früher. Jetzt hört sie nicht einmal mehr auf uns!«
Eine Stunde später bekam Nhur von zwei Frauen Besuch. Mir fielen die wunderschönen Hennamuster auf, die sie an Händen und Füßen hatten. »Wer hat das gemalt?«, fragte ich. »Das sind ja herrliche Blumen und Symbole!«
»Die haben wir selbst gemalt«, versicherten sie mir.
»Wo wohnt ihr?«, fragte ich.
»Direkt nebenan.«
Nhur sagte: »Das sind die Nachbarsfrauen, die deine Hennamuster malen sollten – aber du wolltest ja unbedingt, dass ich es übernehme.«
Ummi
Ein arabisches Wort, das »Analphabet« bedeutet – unberührt von Wissen, das nicht von Allah stammt.
13
Ummi
Meine Mutter, Gott segne sie, rastet und ruht niemals. Am Tag vor unserer Abreise war sie lange Zeit verschwunden. Ich suchte im ganzen Dorf nach ihr und fragte Mohammed, Raschid und Burhaan. Als Nhur vom Straßenmarkt zurückkam, sagte sie mir, Mama sei schon gegangen, noch bevor die Hühner erwachten. Sie zeigte in westliche Richtung zu den blauen Hügeln nahe der Grenze zu Äthiopien. Kurz vor Sonnenuntergang sah ich eine winzige Gestalt in der Ferne, die eine schwere Last auf dem Rücken balancierte. Sie sah aus wie ein
djinn
oder ein Feuergeist, weil die Hitze sie in Wellen umwaberte. Mama hatte Stöcke und tote Äste gesammelt, das staubige Holz in ihren
chalmut
gewickelt und alles verschnürt. Kein Wunder, dass ihr Schal so zerrissen war! Sie trug darin alles, angefangen von Ziegen bis hin zu Brennmaterial. Und sie schleppte die schwere Last auf ihrem Rücken von der anderen Seite des Horizonts bis nach Hause. Außerdem transportierte sie noch in jeder Hand einen großen Wassereimer. Das Holz alleine war offenbar nicht genug gewesen, sie hatte auch noch Wasser am Brunnen holen müssen – und das zur heißesten Zeit des Tages!
Ich lief ihr entgegen, um ihr einen Teil der Last abzunehmen. »Mama«, schrie ich, »warum hast du mir nicht Bescheid gesagt? Ich hätte dir doch geholfen!«
Sie zuckte nur die Schultern und lachte. »Du hast noch geschlafen.«
Aufgebracht entriss ich ihr die Wassereimer. Sie lächelte mich nur an und ging weiter. Meine Mutter ist stärker als alle anderen Frauen, die ich kenne. Jeden Tag sammelt sie Holz. Während ich die Laufstege in Paris und Mailand entlanggeschritten bin, hat sie Holz gesammelt, das Allah uns schenkt, und Ihm den Rauch zurückgesandt.
Als wir an ihrer Hütte anlangten, ließ Mutter das Brennholz von ihrem Rücken
Weitere Kostenlose Bücher