Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nomadentochter

Titel: Nomadentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waris Dirie
Vom Netzwerk:
begann, die Dinge nun vielleicht anders zu sehen. »Was das Land niederdrückt, ist diese ignorante Buschmentalität«, erklärte ich. »Frauen und Männer essen nicht zusammen. Eine Frau darf einem Mann nicht die Haare schneiden, Frauen werden zugenäht. Frauen sind Männern in keiner Hinsicht gleich gestellt. Ich respektiere diese Einstellung zwar und will sie nicht auf Teufel komm raus ändern – aber ich mag es nicht, wenn man sie mir unbedingt aufzwingen will.«
    »Da wird etwas in Gang kommen, Waris«, prophezeite er. »Wenn man Frauen wie Dreck behandelt, dann behandelt man Menschen aus anderen Stämmen genauso schlecht. Das muss einfach anders werden.«
    Mohammed, du bist schon anders geworden, dachte ich, und Tränen des Stolzes rannen mir über die Wangen.
So gib dem Verwandten, was ihm zukommt,
    wie auch dem Bedürftigen und dem Wanderer.
    Das ist das Beste für die,
    die nach Allahs Antlitz verlangen,
    und sie sind die Erfolgreichen.
    (Koran, Sure 30,39 – Die Römer)

15

Wüstendämmerung

    Wie ein Wilder fuhr Musa von der äthiopischen Grenze bis zum Indischen Ozean. Wir passierten Garoowe, Nugaal und Qardho. Es waren zwar größere Orte als das Dorf meiner Mutter, aber auch dort gab es keinen Strom, keine Kanalisation, keine Schulen oder Krankenhäuser. Auf der Straße standen riesige Pfützen, und die Schlaglöcher waren so tief, dass das Auto halb darin versank. Wir rutschten und schlitterten durch tiefen Schlamm, aber irgendwie gelang es Musa immer, wieder in die Spur zu gleiten.
    Am späten Nachmittag hielten wir an einem Fluss, um uns zu waschen und uns ein wenig abzukühlen. Stare flogen auf, und ihre blau-goldenen Federn blitzten in der Sonne. Zwei Pfauen stolzierten davon... ein gutes Omen, vor allem der Anblick eines Paares – wohingegen es Pech bedeutet, wenn man nur die Federn findet. Mohammed zog seine Schuhe aus und watete ins Wasser. »Gäbe es hier überall solche Flüsse, dann wäre Somalia bestimmt das schönste Land der Welt«, sagte ich. Wie ein durstiger Löwe hätte ich am liebsten mein Gesicht in das klare Wasser getaucht. Ich bespritzte mir die Stirn und Arme; ach, wie gerne wäre ich schwimmen gegangen! Als ich jedoch mein Gewand hochzog, ermahnte Mohammed mich, es unverzüglich wieder herunterzulassen. Ein Kamel mit zusammengebundenen Vorderbeinen hoppelte langsam ans Ufer, um zu saufen. Man bindet sie ihnen zusammen, damit sie nicht zu weit weglaufen. »So komme ich mir mit meinem Kleid und dem Schal auch vor«, warf ich Mohammed vor. »Man kann sich nicht richtig darin bewegen, weil man ständig schwitzt und stolpert.«
    »Du solltest sowieso langsam aufhören, überall herumrennen zu wollen«, mäkelte er.
    Er würde mich wohl doch nie richtig verstehen. Schweigend tauchte ich wieder meinen Schal ins Wasser und wusch mir damit das Gesicht. Musa fiel eine Landschildkröte neben der Straße auf. Sie blickte uns aus ihren schwarzen Knopfaugen an, zog sich aber sofort in ihren Panzer zurück, als ich näher trat. »Vielleicht ist sie ein Schutzgeist, der mir etwas sagen will«, meinte ich. »Diese Schildkröte bedeutet sicher, dass zu Hause alles in Ordnung ist!«
    Als wir endlich den Indischen Ozean riechen und die Lichter von Bosasso sehen konnten, lag die Stadt bereits in tiefem Schlaf. Alles war still, nur die Wellen schlugen an den Strand. Man brachte uns zu einem Hotel, und Mohammed begab sich zum Empfang, um uns Zimmer zu nehmen und zu fragen, wo es etwas zu essen gab. Ich sehnte mich nur noch nach einer kühlen Dusche und einem Bett... Außerdem glaubte ich nicht, dass noch ein Lokal offen war. Die Leute essen ihre Hauptmahlzeit mittags, und die meisten Restaurants schließen nach Einbruch der Dunkelheit, weil die Stromversorgung nicht zuverlässig funktioniert. Mohammed versuchte es in mehreren Häusern, aber nirgendwo gab es Zimmer. Schließlich fuhr Musa mit uns in ein weiteres Hotel in einer Nebenstraße. Es war nicht besonders hübsch, aber das spielte keine Rolle. Ich war einfach nur müde, also ging ich mit Mohammed hinein.
    »Nein, heute Abend ist leider nichts mehr frei«, erklärte uns der Mann an der Rezeption. Er stand auf und rieb sich die Augen. Seinen Bart hatte er mit Henna gefärbt, aber sein Haupthaar war weiß.
    »Warum gibt es denn nirgendwo Zimmer?«, verlangte Mohammed zu wissen. »Die anderen Hotels waren auch ausgebucht.«
    »Es warten so viele Leute auf das Flugzeug nach Abu Dhabi«, informierte uns der Mann und wies auf die Menschen, die in

Weitere Kostenlose Bücher