Nomadentochter
der Hotelhalle herumsaßen. »Zurzeit arbeiten sie hier scharenweise an unterschiedlichen Projekten für die Vereinten Nationen oder andere Organisationen. Es wird überall gebaut. Die Leute kommen und gehen, nur letzte Woche war es etwas ruhiger.« Unten fehlten ihm drei Zähne, und die übrigen waren schwarz vom
khat
-Kauen. »Das Flugzeug konnte nicht landen, weil Ziegen die Landebahn blockierten. Oh, der Pilot war so wütend, dass er umdrehte und auf der Stelle nach Abu Dhabi zurückflog!«, berichtete er lachend.
Ich fand das nicht besonders komisch. Denn ich musste nach New York zurück, und ich hatte keine Lust, mich noch eine Woche oder länger in Bosasso aufzuhalten, nur weil Ziegen sich auf der Landebahn tummelten. Wir hatten weder Boarding-Pässe noch reservierte Plätze – normalerweise fährt man einfach zum Flughafen und stellt sich dort in die Warteschlange. Ich warf Mohammed einen Blick zu und sagte: »Hoffentlich bekommen wir überhaupt Plätze. Glaubst du, es könnte problematisch werden?«
»Ich fahre jetzt gleich zum Flughafen und kümmere mich darum.« Dann wandte er sich wieder an den Mann an der Rezeption und fragte: »Gibt es noch ein anderes Hotel in der Stadt?«
»Heute Abend sieht es schlecht aus. Es ist schon spät, und viele Hotels haben wir nicht in Bosasso. Im Moment fällt mir keins ein.«
Wir überlegten noch, was wir tun sollten, als ein Mann auf Mohammed zutrat und ihn fragte: »Bist du Mohammed Dirie?«
»Und mein Vater ist Dahee Dirie«, bestätigte Mohammed. Sie unterhielten sich über meinen Vater, aber ich war so müde, dass ich ihnen kaum Beachtung schenkte. Der Mann hatte einen dicken Bauch und trug die bestickte Kappe, das Zeichen dafür, dass er nach Mekka gepilgert war. »Waris, das ist Hadschi Suliman«, stellte Mohammed ihn mir vor. »Er ist sowohl mit den Mijertein als auch entfernt mit den Howiye aus unserer Familie verwandt.«
Hadschi warf mir einen Blick zu und sagte dann zu Mohammed: »Deine Schwester kann heute Nacht mein Hotelzimmer haben.«
Seine Großzügigkeit machte mich fassungslos. Er bot einfach einer Fremden sein Bett an, weil wir aus derselben Familie stammen. Einen Moment lang brachte ich kein Wort heraus. Im Westen muss man bei solchen Gelegenheiten sagen: »Oh, das kann ich unmöglich annehmen!« Dann beharrt die andere Person auf ihrem Angebot, und schließlich akzeptiert man es doch. Aber bei uns wäre es eine Beleidigung, zuerst einmal abzulehnen. Also bedankte ich mich eilig.
Mohammed und ich folgten Hadschi auf sein Zimmer. Er holte seine Sachen heraus und gab mir den Schlüssel, wobei er mich ermahnte, immer abzuschließen. »Und wo schläfst du?«, fragte ich Mohammed.
»Ich schlafe draußen, mach dir um mich keine Sorgen«, winkte er ab und machte sich auf den Weg zum Flughafen.
Mein Herz sank, als ich das Zimmer betrat. Die Hitze war unerträglich, und trotzdem musste ich die Tür abschließen. Als ich das kleine Fenster öffnete, kam auch keine kühle Luft herein. Am schlimmsten jedoch war der Gestank von Schweiß und Urin. Ich hatte eine kühle Dusche und saubere Laken erwartet, aber in dem winzigen Raum mit dem Betonboden gab es kein Bad. Der Ventilator an der Decke funktionierte auch nicht. Mohammed würde einfach seine Goa auf die Erde legen und in der frischen, kühlen Luft schlafen.
Das Bett bestand aus einer zerschlissenen Matte, die auf einem Holzgestell lag. Ich beklagte mich nicht, weil ich nicht undankbar sein wollte – aber die Matte hatte Löcher und stank. Am liebsten hätte ich draußen bei den Männern übernachtet, aber das kam nicht in Frage.
Zum ersten Mal auf dieser Reise war ich dankbar für mein langes Kleid. Ich zog es mir fest um die Beine und wickelte meinen Kopf in den Schal ein, um die Insekten abzuhalten. Aber dann konnte ich wegen der Hitze nicht einschlafen, und außerdem hatte ich Angst vor Ratten. Ständig hörte ich Kratzen und Schaben in der Dunkelheit und verbrachte den größten Teil der Nacht damit, herauszufinden, woher das Geräusch kam.
Noch vor Sonnenaufgang ertönte der Aufruf zum Gebet. Es muss ungefähr vier Uhr morgens gewesen sein. Der Muezzin singt vom Minarett in der Moschee: »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!« Das Gebet hallt in alle Richtungen. Mich überkam ein seltsames Gefühl, da es über die ganze Stadt hin tönte. Fünfmal am Tag wird das Gleiche gebetet. Alle halten inne und beten mit.
Mohammed kam mich abholen, und während wir auf Musa
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