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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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einen
schrecklichen Alptraum hatten – zumindest war er in Ihren
Augen schrecklich.« Er machte wieder eine Pause, doch jetzt
schaute er niemanden mehr an. Sein Blick ruhte auf den
Büchern. »So viele Alpträume«, murmelte er,
dann sagte er lauter: »Wer sagt Ihnen, daß es
wirklich ein Traum war – und nicht Ihr Leben? Wer sagt
Ihnen, daß Sie nicht in diesem Augenblick träumen, da
wir hier zusammensitzen? Oder vielleicht sind Sie der Traum eines
anderen. Wer sagt es Ihnen?«
    Schrein kratzte sich das stopplige Kinn. »Ich selbst
sage es mir.«
    Gill lächelte. »Das ist keine Antwort.«
    Schreins müdes, stacheliges Gesicht nahm einen trotzigen
Ausdruck an. »Natürlich ist es eine Antwort«,
beharrte er. »Ich werde doch wohl wissen, wann ich
träume und wann ich wach bin.«
    »Das ist bemerkenswert«, entgegnete Gill und
lehnte sich zurück, bis die brüchige Lehne seines
Sessels knackte. »So etwas habe ich noch nicht erlebt. Und
was ist mit den anderen?« Er schaute uns auffordernd an.
Niemand wagte es, eine Antwort zu geben. Jemand sagte, es sei
schon spät, und alle pflichteten ihm bei. Wir waren froh,
einen fadenscheinigen Grund gefunden zu haben, um unsere
Versammlung aufzulösen. Wir machten einen neuen Termin in
der nächsten Woche aus und verabschiedeten uns müde
voneinander. Gill mußte als erster nach draußen
gegangen sein, denn nachdem ich dem Antiquar die Hand gereicht
hatte, sah ich den Fremden nirgendwo mehr. In jener Nacht schlief
ich schlecht. Der Mittelpunkt meiner Träume war Gill. Er
lächelte freundlich, streckte die Hände nach mir aus
und schien mich einzuladen. Doch ich stand da wie festgefroren.
Er kam auf mich zu. Bevor er mich erreicht hatte, wachte ich
auf.
    In den nächsten Tagen wurde es schlimmer. Gill und nichts
als Gill und niemand anderes als Gill kroch durch meine
Träume, manchmal in grotesken Verkleidungen, manchmal
unverhüllt. Doch ich traute ihm nicht, ich versuchte mich
von ihm fern zu halten. Ich hoffte, daß er bei unserem
nächsten Treffen nicht anwesend sein würde.
Natürlich hoffte ich umsonst.
    Schrein begrüßte uns in seinem zugigen,
verwinkelten Antiquariat in dem ausgebrannten alten Kino. Als wir
den abschüssigen Bereich mit den Sesseln und Stühlen
betraten, sahen wir, daß Gill schon da war. Er saß
auf demselben Sessel wie in der vergangenen Woche und
lächelte uns auffordernd an, einen nach dem anderen.
    Die Gespräche kamen nur schleppend in Gang. Unsere alten
Themen schienen niemanden mehr zu interessieren, und
schließlich war es nur noch Gill, der redete. Ich
weiß nicht mehr genau, was er sagte, aber es war etwas
über die Träume und deren Verhältnis zur
Wirklichkeit. Er berichtete von weiten Reisen, die er unternommen
hatte, in Träumen und in der Realität und manchmal in
beidem zugleich, und von gelehrten Männern, die ihn in
gewissen Praktiken unterwiesen hatten. Und dann wieder
erzählte er von völlig belanglosen Dingen, er sprang
hin und her in seinem Monolog wie in einem unsinnigen Traum. Wir
sahen ihn an, wir schwiegen, wir hörten zu, doch
später, draußen auf der dunklen Straße, konnte
keiner von uns sagen, worin der Sinn des Monologs des Fremden
gelegen hatte. Jeder hatte einige Erinnerungsfetzen zu bieten,
die wir ergebnislos aneinanderzusetzen versuchten, dort
draußen mitten in der Nacht, auf der dunklen, unsicheren
Straße, deren Laternen schon vor Jahren eingeworfen worden
waren. Einer von uns glaubte, etwas über ›die
Wirklichkeit der Unwirklichkeit‹ gehört zu haben, ein
anderer über ›die Schatten, die in den
Zwischenräumen der synaptischen Cerebralverbindungen
lauern‹, ein weiterer über ›die Ängste
des Träumers vor dem Erwachen‹. Niemand hingegen
sprach über seine eigenen Alpträume und darüber,
ob er Gill in diesen Alpträumen gesehen hatte. Auch ich
traute mich nicht, das Thema aufzudecken. Mir fiel aber auf,
daß sich Schrein an der gesamten Diskussion vor dem
ausgebrannten Kino, das sein Antiquariat beherbergte, nicht
beteiligte. Er war mit uns vor die Tür gegangen, was nicht
seine Gewohnheit war, und dort draußen, in der Kälte
der sternlosen Nacht, machten wir den Termin für die
nächste Zusammenkunft aus. Gill war nicht anwesend; niemand
hatte ihn gehen sehen.
    In den nächsten Nächten wurden meine Träume
noch intensiver. Gill schrie nach mir, lockte mich, wollte mich
mit Gewalt zu sich zerren, aber ich leistete

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