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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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abgedichtet und dort,
wo einmal die Sitzreihen gewesen waren, Regale aufgestellt, die
auf dem abschüssigen Boden schwindelerregend schief standen
und alle auf die ehemalige Bühne zuzustreben schienen.
Zwischen den vollgestopften Regalen hatte Schrein alte Sessel
aufgestellt, abgeschabte Ledersessel, aufgeplatzte Polstersessel,
wacklige Armlehnstühle: dazwischen bildeten wertlose
Bücher Podeste und Tische, auf denen Weinflaschen und
Gläser standen. Hier pflegten wir bis tief in die Nacht
hinein zu sitzen und uns unsere Einsamkeit von der Seele zu
reden. Wir alle waren in gewisser Weise Gestrandete, wir kannten
niemanden in dieser Stadt außerhalb unseres Kreises, wir
lebten allein, immer wieder auf uns selbst zurückgeworfen,
in unsichtbaren Kokons, die jegliche Berührung mit
demjenigen verboten, was der Gewöhnliche
›Leben‹ nennt. Die Abende in Schreins
schlechtgehendem Antiquariat waren der einzige Lichtblick
für uns, und deshalb nahmen wir jeden Termin, den Schrein
uns gab – es war nicht immer derselbe Wochentag –,
peinlich pünktlich wahr. Schrein sorgte für den Wein
und wir anderen für die Gespräche. Der Antiquar
hörte meist nur zu, und manchmal blinzelte er zu der
verlassenen Bühne hinüber, auf der noch vor den Tagen
des Kinos ein Variete gespielt hatte.
    Wir redeten über alles, nur nicht über unsere
Einsamkeit. Und wir tranken mehr, als uns bekam. Doch es war
alles, was wir hatten. Ich liebte den staubigen, leicht modrigen
Geruch der unzähligen Bücher, von denen nicht eines
eine Kostbarkeit war, denn Kostbarkeiten konnte sich Schrein
nicht leisten. Manchmal nahm ich eines der Bücher in die
Hand, blätterte darin herum – zumeist waren es Titel,
von denen ich nie zuvor etwas gehört hatte – und
genoß einzelne Sätze, die mir etwas von dem Geheimnis
preiszugeben schienen, das uns täglich umgab.
    Es war ein Traum von Zusammengehörigkeit, die uns
Anwesenden an jenen Abenden erfaßte. Unser Leben verlief
völlig unabhängig voneinander, wir kamen aus
verschiedenen Bereichen der Stadt, und nie begegneten wir uns
zufällig auf der Straße oder in einem der zahlreichen
heruntergekommenen Supermärkte mit den flackernden und
brummenden Neonröhren, die zischelnde Schatten auf die
Kühltruhen und Regale warfen. Und es war in einem dieser
Schatten, wo ich das Gesicht des Herrn Gill zum ersten Mal zu
sehen geglaubt hatte. Nun saß er mitten unter uns. Und ich
hatte den Eindruck, daß jeder von uns ihm schon einmal
begegnet war, wo auch immer. Aber niemand gab es zu.
    Wir alle waren Träumer, Tagträumer und
Nachtträumer. Zumeist waren es Alpträume, die uns
heimsuchten. Wir sprachen nur selten darüber. Doch heute kam
Schrein selbst darauf zu sprechen; es war einer der wenigen Tage,
an dem er in die Unterhaltung eingriff. Er berichtete von einem
sehr eindrücklichen Alptraum über ein Nest
spinnenartiger Wesen in dem Antiquariat, dort hinten vor der
Bühne, die durch einen widersinnig schmalen, schachtartigen
Orchestergraben von dem Parkett abgetrennt war. Wir alle schauten
in diese Richtung, alle außer Gill. Natürlich war dort
nichts, nichts außer Schatten, die von den hoch an der
provisorischen Decke hängenden Tütenlampen
herabtropften.
    Und plötzlich sprach Gill zum ersten Mal, seit er sich
vorgestellt hatte. Er besaß eine angenehm dunkle und weiche
Stimme. Wir alle schauten ihn erstaunt an, als erinnerten wir uns
jetzt erst wieder seiner Gegenwart. Er sagte zu Schrein gewandt:
»Woher wollen Sie wissen, daß es ein Traum
war?«
    Schrein schaute ihn verwundert an und strich sich mit den
mageren Fingern über das stopplige Gesicht mit den
eingefallenen Wangen. Nach einer Weile, als müsse er sich
erst die wahre Schwere dieser Frage vergegenwärtigen,
antwortete er langsam, beinahe schleppend: »Ich lag in
meinem Bett, als ich aufwachte und diese Wesen
verschwanden.«
    »Das mag schon sein«, erwiderte Gill und schlug
die spinnenartigen langen Beine übereinander. Gleichzeitig
beugte er den schmalen Oberkörper vor und griff nach einem
der gefüllten Weingläser auf dem Bücherstapel
zwischen uns. Er nahm langsam einen Schluck, schaute uns dabei
an, einen nach dem anderen, stellte das Glas wieder fort und
lehnte sich mit einem kleinen Seufzer zurück. Er hatte es
erreicht, daß wir alle nun an seinen Lippen hingen.
    »Ich will nicht leugnen, daß Sie im Bett lagen,
und ich will auch nicht leugnen, daß Sie

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