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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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vorhin, mitten in der Nacht,
geweckt, mich am Arm gepackt und in einer schrillen, hohen Stimme
gesagt: »Ich brauche Ihre Hilfe. Das war die Bedingung
für Ihr Quartier, erinnern Sie sich nicht mehr?« Ich
hatte mir den Schlaf, den harten, kratzenden Schlaf, aus den
Augen gerieben, war aufgestanden und ihm hinunter in einen Raum
gefolgt, der das Wohnzimmer zu sein schien. Auch hier
bröckelte der Verputz, auch hier war es feucht und kalt.
    In der Mitte des Zimmers, auf einem breiten, alten Tisch,
stand ein verschlossener Sarg. Um ihn herum brannten dicke
weiße Kerzen. Sie brannten unregelmäßig,
flackerten, blakten, rußten, schwelten. Ich mußte
husten. Das Männchen sah mich durch seine dicke Brille
vorwurfsvoll an, und bald waren wir damit beschäftigt, den
Sarg aus dem Zimmer zu tragen. Die Haustür stand weit offen,
die Nacht leckte mit breiter, schwarzer, sterndurchbohrter Zunge
in den Flur herein. Wir traten hinaus auf den Kirchplatz. Ich
sah, daß das Portal des Gotteshauses offenstand; dahinter
zuckte der Schein unzähliger Kerzen. Wir trugen den Sarg
hinein und luden ihn auf einem mächtigen Katafalk vor dem
Altar ab. Vor dem Katafalk lagen Kränze mit breiten goldenen
Schleifen, über die wir achtlos hinwegschritten. Ich
bemerkte, daß die Schleifen keine Aufschriften
besaßen; ihr Gold war blank und leer.
    Das Männchen sagte in seiner grellen und hohen Stimme,
ich solle mich ein wenig ausruhen, er müsse noch einige
Vorbereitungen treffen. Ich verließ den Altar und setzte
mich in eine der harten Kirchenbänke. Auch die beinahe
senkrechte Rückenlehne konnte nicht verhindern, daß
ich rasch wieder einschlief.
    Als ich die Augen aufschlug, war ich allein in der Kirche. Die
Kerzen brannten noch und tauchten das hohe Schiff in ein
unirdisches Feuer. Der Sarg stand wie in Erwartung auf dem
schwarzen Katafalk. Schlaftrunken erhob ich mich und suchte nach
dem Küster. Er hatte die Kirche verlassen. Und er hatte das
Portal hinter sich abgesperrt. Ich fand keine offene Tür
mehr.
    Ich ging durch das breite Mittelschiff auf den Altar und den
Sarg zu. Der Sarg badete im zuckenden Kerzenlicht. Schatten
wirbelten über ihn hinweg, zogen sich wieder zurück,
griffen ihn erneut an. Müdigkeit stülpte sich über
mich. Meine Bewegungen wurden langsamer, meine Schritte weicher,
ihr Hall war nichts mehr als ein schmeichlerisches Singen, ein
Singen, das von den alten, harten Kirchenbänken aufgenommen
wurde. Und von den Feuerzungen der Kerzen, die um den Altar
standen, und von denen, die in eisernen Halterungen von den
Wänden herabbrannten, und von jenen, die unmöglich weit
oben in radförmigen Leuchtern unter der gewölbten Decke
steckten. Niemand konnte so hoch hinaufreichen und sie
entzünden. Besonders nicht der grotesk verwachsene kleine
Mann…
    Der Sarg nahm meine schwache Aufmerksamkeit gefangen. Ich
bemerkte, daß er nicht völlig verschlossen war. Der
Deckel war ein wenig beiseite geschoben; vielleicht hatte der
kleine Küster dies getan, vielleicht war auch der Deckel
während des Transports verrutscht. Ich warf einen Blick in
den Sarg.
    Es lag eine Schaufensterpuppe darin, mit seltsam gebogenen
Gliedern, eine männliche Puppe mit einem Plastiklächeln
und mit Plastikaugen. Jemand hatte eine härene Decke
über sie gebreitet, die ihr bis knapp unter die Plastikbrust
reichte; es wirkte wie die Fürsorge einer Puppenmutter.
    Ich wich zurück, zum Altar hin, und stolperte zwei Stufen
hoch, bis ich auf einem Sessel mit einer weichen Rückenlehne
Platz fand. Es war der Ministrantensessel. Neben mir, auf dem
Sessel des Zelebranten, saß der Küster. Ich hatte
nicht bemerkt, daß er hereingekommen war. War er etwa gar
nicht der Küster, sondern der Priester? Er stand auf und
trat zum Ambo. Dann sprach er Worte in die Kirche hinein, Worte,
die der Schall mit sich nahm und weit hinten verzerrt wieder
ausstreute. Ich verstand sie nicht.
    Aber ich sah, daß die Kirche sich gefüllt hatte.
Draußen herrschte noch immer die Nacht; nicht der leiseste
Schein einer Morgendämmerung fiel durch die spitzbogigen
großen Fenster. Und dort, auf den harten Bänken,
saß die Trauergemeinschaft; es waren jene, die ich am Abend
zuvor in der Wirtsstube gesehen hatte. Jeder von ihnen hatte die
Hände auf die Bank vor sich gelegt. Niemand rührte
sich.
    Jetzt hatte der kleine Mann seine unverständliche
Ansprache beendet und wandte sich dem Sarg zu. Mit hastiger

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