Nora Morgenroth: Der Hüter
Pflegeheim am Platz besorgt hatte, damals, als feststand, dass unsere Großmutter sich nicht mehr allein versorgen konnte. Hedda und ich waren zu jung gewesen, um etwas dagegen unternehmen zu können.
Dann war es auch recht schnell gegangen . Der geistige Verfall war rasant vorangeschritten. Vor allem, seitdem sie im Heim gewesen war, egal, wie teuer die Unterbringung gewesen war. Es war eben nur ein Heim. Fremde Hände pflegten und wuschen sie und die Wände waren ebenso fremd.
Bei jedem Besuch hatte ich gebetet , dass Omi nicht mehr wirklich mitbekommen hatte, wo sie sich zuletzt befand. Irgendwann erkannte sie nicht einmal mehr Hedda und mich. Bald sprach sie nicht mehr und hörte auf zu essen und dann lag sie nur noch und blickte ins Nirgendwo.
Immerhin konnte ich , nach allem, was ich inzwischen wusste, davon ausgehen, dass Alter und Krankheit, die einen zuletzt im Leben geplagt hatten, im Jenseits keine Rolle mehr spielten. Wenn ich meine Großmutter heute zu mir sprechen hörte, dann klang sie lebhaft und klar, irgendwie sehr jung oder zumindest alterslos. Und dennoch war es eindeutig ihre Stimme. Das war sehr tröstlich.
Trotzdem, Altersheime fand ich einfach deprimierend. Mochte man sie auch Seniorenresidenz nennen oder ihnen vornehme Namen geben, die anderes suggerierten als das, was sie waren: Der letzte Ort, wo die Bewohner nur hinzogen, um dort zu sterben.
Davon abgesehen gab es einen weiteren Grund, weshalb ich mich unwohl zu fühlen begann. Einfach deshalb, weil ich überhaupt hier war. Was hatte ich mir dabei gedacht? Das fragte ich mich, während ich die Schritte verlangsamte. Erstens hätte ich anrufen sollen und zweitens kannte ich Frau Martensen doch eigentlich überhaupt nicht. Ich konnte ja unmöglich erklären, warum ich ihr gewisse Fragen stellen wollte. Doch nun war ich einmal hier. Wenn die alte Dame keine Zeit für mich hatte, dann würde ich das Ganze entweder abhaken oder ein anderes Mal wieder kommen müssen.
Ich schritt durch eine Glastür, die sich automatisch zu beiden Seiten öffnete und gelangte in einen überraschend modernen Empfangsbereich. Hinter einer Art Rezeption stand eine junge Frau in weinroter Bluse, die aufblickte, als ich näher trat.
« Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?»
« Ja, ich suche Frau Martensen. Wo finde ich denn ihr Zimmer?»
« Einen Augenblick, ich will gern versuchen, sie für Sie ausfindig zu machen.»
Die Frau griff nach dem Telefon und tippte eine dreistellige Nummer ein.
« Hallo, Frau Martensen, hier ist die Ina vom Empfang. Es ist Besuch für Sie da … ach so, Sie erwarten niemanden? … Moment, ich frage nach.“ Sie wandte sich mir zu. «Darf ich fragen, wie Sie heißen?»
«Nora Morgenroth.»
«Frau Martensen, hier ist die Frau Morgenroth für Sie? Kennen Sie nicht … ja, dann …»
Die junge Frau blickte mich fragend an.
«Sagen Sie ihr bitte, wir wohnen jetzt in ihrem alten Haus, dann erinnert sie sich bestimmt.»
« Frau Martensen, die Dame hier sagt, sie wohne jetzt in ihrem Haus … ja, genau … Sie kommen herunter? Ja, kein Problem, ich richte es aus.»
Sie legte den Hörer auf.
«Frau Martensen kommt gleich herunter. Das kann einen Moment dauern, vielleicht setzen Sie sich einfach dort drüben hin?»
Die junge Frau deutete auf eine Sitzgruppe aus mehreren Sesseln und Sofas . Die Möbel waren so ausgerichtet, dass man den rückwärtigen Park überblickte.
« Und Sie müssen schon entschuldigen, dass ich so nachfrage. Aber wir müssen unsere Gäste eben auch manchmal ein wenig beschützen. Sie glauben ja nicht, was für Leute sich hier schon einzuschleichen versucht haben. Die schwatzen den alten Herrschaften dann alles Mögliche auf, was sie unbedingt kaufen sollen oder bestehlen sie gleich richtig.»
« Kein Problem», sagte ich, «ich kenne Frau Martensen auch eher flüchtig, ich wollte sie nur etwas fragen, wegen des Hauses.»
« Ach, sie freut sich bestimmt über Ihren Besuch. So oft kommen die Töchter nun auch nicht vorbei und dabei ist Frau Martensen ihretwegen doch extra nach Vallau gezogen. Aber der große Enkel, der kommt ganz oft.» Sie machte eine kurze Pause. «Frau Martensen erzählt viel von ihrem alten Haus. Sie hat es wohl sehr geliebt, denke ich.»
Ich nickte zustimmend: «Ja, das ist wohl so. Es ist auch wunderschön dort. Na gut, ich setze mich dann mal. Vielen Dank!»
Etwa fünf Minuten wartete ich, da sah ich die alte Dame auf mich zukommen. Ich erschrak beinahe. In den wenigen Monaten,
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