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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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schweren Eimer in den Einkaufswagen, als es mich wie eine Welle überrollte. Das vertraute Rauschen legte sich über mein Gehör und ich spürte die Schwärze in mir aufsteigen. Zugleich lähmte mich die Angst so buchstäblich, dass ich keinen Fuß mehr vor den anderen setzen konnte, obwohl ich davonlaufen wollte. Ich zog den Kopf ein in Erwartung der Schläge, die unweigerlich auf mich niederprasseln würden.
    … Papa … nein … bitte, Papa …
    Ich sah den Abgrund auf mich zukommen und spürte, dass ich kurz davor war, mir selbst zu entgleiten.
    « Nein!», rief ich und riss die Beine vom Boden los, erst das eine, dann das andere. Sie waren bleischwer. Irgendwie schaffte ich es dennoch, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich irrte panisch durch die Gänge und fand schließlich den Ausgang.
    Als nächstes fand ich mich in meinem Wagen wieder. Zuhause. Ich stand vor unserem Haus, dort, wo ich immer parkte und rieb mir die Augen. War ich überhaupt schon losgefahren?
    Ich blickte über die Schulter . Die Rückbank war leer. Ich stieg aus und kontrollierte den Kofferraum. Nichts, bis auf den üblichen Müll und Kleinkram, den ich seit Jahren mit mir herumfuhr.
    Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr zeigte, dass es zwanzig nach zwei war. Gegen zwölf Uhr hatte ich das Haus verlassen, das wusste ich noch. Also hatte ich entweder über zwei Stunden im Wagen gesessen und halluziniert oder ich war tatsächlich im Heimwerkermarkt gewesen – und hatte dort halluziniert. Und war von dort nach Hause gefahren, ohne zu wissen, wie. Ich wusste nicht, welche Möglichkeit mich mehr ängstigte.
    Unentschlossen ging ich auf das Haus zu. Was sollte ich jetzt tun – etwa nach Erzfeld zurückfahren und nachsehen, ob ich in einem der Gänge einen Einkaufswagen mit Pinseln und maisgelber Farbe vorfand? Ich schloss die Haustür auf und blieb in der Eingangsdiele stehen. Eigentlich wäre ich gern nach oben gegangen und hätte mich auf das Bett gelegt. Einfach die Decke über den Kopf ziehen und nichts mehr hören oder sehen.
    Damals, als das mit Yasmine begann, hatte mein Schlafbedürfnis mich dazu verleitet, ganze Tage hintereinander im Bett zu liegen und mich den Visionen hinzugeben. Wie ein Sog war das gewesen, obwohl ich immer und immer wieder mit ihr in die Tiefe gestürzt war.
    Doch die se Schwärze jetzt – ich wollte das einfach nicht.
    Alles in mir sperrt e sich dagegen und ich fing an zu begreifen, dass ich etwas unternehmen musste, wenn ich darin nicht untergehen wollte. Außerdem lebte ich nicht mehr allein, es kam nicht in Frage, dass ich mich wieder derartig gehen ließ. Also ging ich stattdessen in die Küche und griff mechanisch nach dem Kessel, ließ Wasser einlaufen, schaltete den Herd ein und stellte mich ans Fenster.
    Erst a ls es hinter mir vernehmlich zu blubbern begann und Tropfen aus der Tülle auf die heiße Kochplatte sprangen, wo sie zischend verdampften, wandte ich mich um. Ich drehte den Schalter auf Null und zog den Kessel zur Seite. Das war alles sinnlos. Ich brauchte jetzt keinen Tee. Ich musste etwas unternehmen und plötzlich wusste ich auch, was das sein würde.
    Mit großen Schritten lief ich durch das Haus, rannte die Treppe hinauf und stürmte in Olivers Arbeitszimmer, das zugleich auch unsere gemeinsamen Akten beherbergte. Dafür war sein Raum größer als meiner. Ich zog die Unterlagen zum Hauskauf hervor und blätterte. Nach wenigen Minuten hatte ich das gefunden, was ich suchte. Ich notierte die Adresse auf einem kleinen Zettel und saß kurz darauf wieder im Wagen.
    Zwanzig Minuten später erreichte ich Vallau. Die Seniorenresidenz, in der Ludviga Martensen nun wohnte, fand ich problemlos und parkte auf der für die Besucher vorgesehenen Fläche. Ein dezent unwohles Gefühl beschlich mich, als ich auf die Anlage zuschritt, die aus mehreren Gebäuden bestand. Meine Großmutter hatte die letzten Monate ihres Lebens in einem Pflegeheim zugebracht und ich erinnerte mich auch nach all den Jahren noch deutlich an die unangenehmen Gerüche und die unpersönliche Atmosphäre. Besonders eindringlich erinnerte ich mich an die heftigen Auseinandersetzungen, die ich deswegen damals mit Mutter geführt hatte. Doch unsere Omi war nun einmal die Mutter unseres Vaters gewesen, der nicht mehr lebte. Wir waren ihre nächsten noch lebenden Verwandten. Sie hatte sonst niemanden mehr, der sich um sie kümmern konnte. Mutters Kümmern sah so aus, dass sie für ihre Schwiegermutter einen Platz im teuersten

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