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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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verwinkelten Verkaufsräume. Sie waren weder besonders sauber noch aufgeräumt. Genau genommen herrschte ein ziemliches Chaos, dennoch mochte ich den Laden oder vielleicht gerade deswegen. Zwischen, neben und auf den ausgestellten Möbeln lagen oder standen die verschiedensten Gegenstände, alte Lampen, Kerzenständer, originelle Kaffeekannen und riesige Tortenplatten.
    Ich entdeckte eine wundervolle Waschschüssel nebst der dazugehörigen Kanne, in die ich mich sofort verliebte. Das Porzellan war cremefarben und mit blauen Blumenranken verziert. Das Set erinnerte mich an ein ähnliches Ensemble, das früher bei Großmutter im Schlafzimmer gestanden hatte. In meiner Kindheit hatte ich es stets ehrfürchtig bewundert und einmal hatte Oma gesagt, dass ich es haben dürfte, wenn ich groß sei. Dann war Omi gestorben und ich war groß geworden und die Waschschüssel war irgendwie verschollen. Wahrscheinlich hatte Mutter sie bei der Wohnungsauflösung als wertlosen Plunder eingeordnet und dem von ihr beauftragten Entrümpelungsunternehmer überlassen. Damals war ich nicht geistesgegenwärtig genug gewesen, um einzuschreiten. Kein Wunder, ich war so jung gewesen. Erst viel später war mir aufgegangen, was wir, abgesehen von unserer Großmutter, alles verloren hatten, was einmal ihr gehört hatte. Mutter hing nicht sehr an Dingen, wenn sie keinen ausgesprochenen eigenen Wert besaßen.
    Als ich hinter mir Schritte hörte, wandte ich mich um und fragte: «Was soll die Waschschüssel denn kosten? Also, beides zusammen, Kanne und Schüssel?»
    « Ach, ich weiß nicht. Das steht hier auch schon ewig. Dreißig, vielleicht?»
    «Das ist doch viel zu wenig» , entfuhr es mir.
    « Na, Sie sind mir eine Kundin!»
    Die Frau lachte laut auf und zeigte ihre Zahnlücke.
    « Beim Trödler müssen Sie doch handeln und dabei den Preis drücken und nicht anheben. Wenn Sie wollen, nehmen Sie es für dreißig mit. Und hier, das habe ich gefunden.»
    Ich nahm den Zettel entgegen, den sie mir reichte, sah aber nicht gleich darauf.
    «Ist es denn schon lange her, das mit Ihrem Vater?»
    Ich erinnerte mich an einen schmalen, älteren Mann, der das Bett an einem regnerischen Samstagvormittag in seinem hellgrauen Lieferwagen gebracht hatte. Gemeinsam mit Oliver hatte er die Teile des Bettes ins Wohnzimmer geschleppt, wo ich bereits die Holzböcke aufgestellt hatte. In den darauffolgenden Wochen hatte ich ein Teil nach dem anderen abgebeizt, geschmirgelt und neu lasiert. Der Mann musste ihr Vater gewesen sein. Herr Simoni, natürlich. Simonis Antik & Trödelmarkt.
    « Vorletzte Woche war die Beerdigung. Krebs. Es kam eigentlich nicht überraschend, aber irgendwie ging es dann doch furchtbar schnell.»
    « Es tut mir sehr leid, wirklich.»
    « Danke.» Sie deutete auf den Zettel. «Mehr habe ich leider nicht gefunden. Können Sie denn damit etwas anfangen?»
    Ich blickte auf das Papier in meiner Hand. Es war die Kopie aus einem kleinen Quittungsblock. Ich entzifferte Doppelbett und € 50,-, darunter hatte jemand anders, ungelenk und in beinahe kindlichen Buchstaben gemalt: Erhalten von F. Thänjes. Oder Thönge oder Thünges. Wenn ich es recht bedachte, konnte die Initiale des Vornamens auch ein P sein. Vielleicht sogar ein R. Die Unterschrift stammte ganz augenscheinlich von jemandem, der nicht oft schrieb. Krakelig und kaum zu entziffern.
    Es war ziemlich ernüchternd, irgendwie hatte ich gehofft, so etwas wie einen richtigen Briefbogen zu bekommen, mit Adresse und Telefonnummer.
    Ich beschloss, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Bisher hatte ich mich schon benommen wie ein Elefant im Porzellanladen, da musste ich nicht auch noch unverschämt werden.
    « Vielen Dank, ich werde sehen, ob ich damit weiter komme. Ach, die Waschschüssel würde ich gern mitnehmen.»
    Wir gingen nach vorne zur Kasse. Die Frau schlug Schüssel und Kanne in mehrere Lagen Zeitungspapier ein und legte das Ganze dann vorsichtig in einen kleinen Pappkarton, den sie aus einer Ecke hinter dem Verkaufstisch zog. Sie nahm das Geld entgegen und reichte mir den Karton.
    « Bitte schön! So müssten Sie das gute Stück auf jeden Fall heil nach Hause bekommen.»
    Ich bedankte mich und war schon fast an der Tür, als ich sie rufen hörte.
    « Halt, warten Sie, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich weiß wieder, von wem mein Vater das Bett gekauft hat.»
    « Tatsächlich?»
    « Ja, eben ist es mir wieder eingefallen. Das ist doch der Thönges, von dem hat mein Vater manchmal

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