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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Wild mitgebracht. So ganz legal war das nicht, glaube ich, der hat wohl gewildert. Aber Papa kannte den irgendwie von früher. Ich weiß nicht, woher. Befreundet waren die nicht, ich hab den auch nie gesehen. Nur der Name, der fiel dann mal, wenn es Rehkeule gab oder Hasen. Und als er das letzte Mal etwas holte, im November war das glaube ich, jedenfalls vor Weihnachten, da hat er das Bett mitgebracht.»
    Ich setzte den Karton ab, der in meinen Armen langsam schwer wurde. Mein Herz schlug schneller.
    « Und wissen Sie, wo der wohnt, der Herr Thönges?»
    Die Frau hob einen Arm und kratzte sich am Hinterkopf. Ich wartete gespannt. Erst schüttelte sie den Kopf, doch dann streckte sie den Arm hoch, als meldete sie sich in der Schule.
    «Doch, Thönges in Düssen. Das hat Papa immer gesagt.»
    « Düssen, nie gehört. Wo liegt denn das?»
    «Also, soweit ich weiß , ist das bei Eichwald, hinter Vallau. Da ist doch das große Naturschutzgebiet, der Vallauer Forst. Da irgendwo muss es sein. Ich würde an Ihrer Stelle hinfahren und mich dann durchfragen. Die Leute da in der Gegend kennen das bestimmt. Ich weiß nur, dass der Thönges ziemlich abgelegen wohnt. Ein komischer Kauz, hat mein Vater über den mal gesagt, aber vielleicht verwechsle ich das auch mit jemand anders.»
    Im Hintergrund des Ladens klingelte ein Telefon. Die Frau blickte über ihre Schulter.
    «Ich muss dann mal …»
    « Ja, vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen.»
    « Gern geschehen!»
    Sie wandte sich ab.
    Als ich fast durch die Tür war, hörte ich die Frau nochmals rufen.
    « Wie heißen Sie eigentlich?»
    « Nora. Nora Morgenroth.»
    « Uta Simoni. Vielleicht sieht man sich mal wieder?»
    « Ja, vielleicht! Tschüss!»
     
    Sobald ich zuhause war, setzte ich den Karton auf dem Küchentisch ab, legte meine Jacke darüber und lief die Treppe hinauf in mein Arbeitszimmer. Mich packte der leichte Anflug eines schlechten Gewissens, als ich an mein Romanprojekt dachte. Von früheren, unfreiwilligen Unterbrechungen wusste ich, dass es schwierig werden konnte, die Arbeit wieder aufzunehmen, wenn ich zu lange pausierte. Zwar hatte ich kein festes Veröffentlichungsdatum im Genick, aber dennoch hatte ich den Vorsatz gehabt, zügig zu arbeiten. Wenn ich einer angestellten Arbeit nachginge, dann konnte ich auch nicht alles aufschieben, wie es mir passte. Und in den letzten Tagen hatte ich gar nichts geschrieben. Keine einzige Zeile.
    Doch leider lag es offenbar in meiner Natur, dass ich mich allzu leicht ablenken ließ. Im Moment hatte ich keine n Gedanken frei für etwas anderes als die Alpträume. Und für das Kind, das ich immer wieder sah und hörte. Ich wollte, dass die Alpträume aufhörten, mich zu quälen, ich wollte, wenn möglich, denjenigen ausmachen, der uns beide so ängstigte – mich und das Kind. Vielleicht schwebte es immer noch in Gefahr? So unwahrscheinlich das sein mochte, war es doch nicht mit Sicherheit zu sagen, dass alles längst vorbei war. Es war einfach zu grauenvoll, um es zu ignorieren.
    Ich schaltete den Computer ein und wartete ungeduldig, bis der Internetbrowser sich öffnete. Endlich konnte ich Google Earth öffnen und gab Vallau ein. Nördlich der Stadt befand sich ein großer, dunkler Fleck. Das war der Vallauer Forst, ein Waldgebiet von enormen Ausmaßen. Ich suchte den südlichen Rand ab, bis ich eine schmale Straße fand, die den Wald durchschnitt. Ich zoomte näher heran und erkannte einen Sprengel mit wenigen Häusern. Das musste Düssen sein.
    I n der Gegend war ich zuletzt als Kind gewesen, mit Großmutter natürlich. Mutter hatte keinen Sinn für so etwas gehabt und mit Stöckelschuhen wandert es sich so schlecht, dachte ich gehässig.
    Der Forst war ein beliebtes Ausflugsziel für Familien und Wanderer. Undeutlich erinnerte ich mich an einen See, der von mächtigen Bäumen gesäumt war. Man gelangte dort nur zu Fuß oder mit der Kutsche hin, denn Autos waren in diesem Teil des Waldes verboten. Am See lag eine kleine Gastwirtschaft. Wir hatten draußen gesessen und Eis gegessen. Großmutter, Hedda und ich. Aber wo genau das lag, das wusste ich nicht mehr. Ich erkannte mehrere blaue Flecken im Dunkelgrün, aber ich konnte keinen von ihnen meinen Erinnerungen zuordnen. Vielleicht gab es die Gastwirtschaft auch gar nicht mehr. Ich überlegte, dass ich Hedda einmal darauf ansprechen sollte, ob sie sich an diesen Ausflug noch erinnerte. Sie war ja noch jünger gewesen als ich. Es wäre doch schön, wenn wir einmal mit

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