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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Es war kurz vor ein Uhr, als ich bei Erzfeld auf die Autobahn in Richtung Vallau bog. Etwa eine halbe Stunde später verließ ich sie an einer Ausfahrt, die Eichwald und ein paar andere Ortschaften anzeigte, deren Namen mir nichts sagten.
    Ich folgte der Straße über mehrere Kilometer, dann passierte ich das Ortsschild von Eichwald. Die schnurgerade Hauptstraße führte mich durch den Ort hindurch. Düssen 4 Kilometer stand am Ausgangsschild. Ich beschleunigte und fand mich allein auf einer Landstraße, die scheinbar ins Nirgendwo führte. Weit und breit waren nur noch Felder zu sehen. Dahinter ragte der mächtige Vallauer Forst auf, dunkelgrüne Hügel, die endlos erschienen.
    Dann kam Düssen. Es bestand nur aus einer einzigen Straße mit höchstens sechs oder sieben Häusern. Zwei Gehöfte lagen etwas abseits. Der kleine Ort war schnell durchfahren. Am Ende der Hauptstraße stand ein Schild: Naturschutzgebiet. Durchfahrt nur für Anlieger und landwirtschaftliche Fahrzeuge .
    Ich wendete und hielt am Straßenrand an. Weit und breit war niemand zu sehen, den ich hätte fragen können, wo Thönges wohnte. Allerdings waren es nicht sehr viele Häuser. Ich konnte sie ebenso gut einzeln abklappern und auf die Türschilder sehen. Also stieg ich aus, schloss den Wagen ab und machte mich auf den Weg. Stelter. Schuch. Pielage.
    Beim vierten Haus musste ich einen Vorgarten durchqueren, der so akkurat gepflegt war, als würden die Grashalme einzeln mit der Nagelschere geschnitten. In den Beeten, in denen kunstvoll gestutzte Buchsbäume ein etwas trostloses Spalier bildeten, war kein Fitzelchen Unkraut zu erkenne, jedenfalls nicht mit dem bloßen Auge. Neben jedem Bäumchen hielt ein Gartenzwerg Wache. In Reih und Glied, wie sich das wohl so gehörte. Ich verkniff mir ein Grinsen und beugte mich vor, um das Namensschild zu entziffern, da wurde mit einem Mal die Tür aufgerissen. Ich wich erschrocken zurück. Eine ältere Frau, die ihren unfassbar beleibten Körper in eine geblümte Kittelschürze gepresst hatte, trat vor. Sie stemmte ihre runden Arme in die Seite und starrte mich misstrauisch an.
    « Ja, zu wem wolln se denn, Frollein?»
    Ich fühlte mich ertappt wie ein Kind, das bei fremden Leuten Klingelstreiche machte. So wie früher.
    « Oh … äh … Entschuldigung …, ja, den … die Familie Thönges suche ich. Leider habe ich die genaue Adresse nicht, und …»
    « Was wolln se denn von dem?»
    « Ich … also, das ist privat. Wohnt der Herr Thönges denn nun hier?»
    Die dicke Kittelschürze bebte vor Lachen. Ich trat sicherheitshalber einen Schritt zurück. Die Frau war mir nicht ganz geheuer. Ihre Augen blickten gar nicht lustig.
    « Ha, der Thönges, hier? Ne, da sind se aber sowatt von falsch. Da müssen se innen Wald, da hausen die. Aber watt will denn so ‘ne Stadtfrau von dem Thönges?»
    «Ich bin keine Stadtfrau» , protestierte ich, was natürlich ziemlich albern war. Es interessierte mich doch überhaupt nicht, was die Kittelschürzenfrau von mir dachte. Ich wollte nur diesen Thönges finden. Familie Thönges. Wie auch immer.
    « Also, muss ich doch die Straße hoch fahren? Ich dachte, da kommt nichts mehr, das ist doch Naturschutzgebiet.»
    « Wenn se zum Thönges wollen, dann müssen se da lang. Wenn nich, dann nich.»
    Rumms . Tür zu.
    Ich drehte auf dem Absatz um und machte, dass ich zurück zu m Auto kam.
    Wenn die hier alle so unfreundlich waren, dann konnte ich mich bei Familie Thönges wohl auf einiges gefasst machen. Komisches Volk, dachte ich und wendete den Wagen.
    I m Schritttempo fuhr ich in den Wald hinein. Das undurchdringliche Grün verschluckte mich. Innerhalb von wenigen Metern veränderte sich die Welt. Eben noch war ich über freies Feld gefahren, menschenleer, doch offen und freundlich. Es war ein sonniger Tag. Doch hier herrschte mit einem Mal eine ganz andere Beleuchtung. Das Blätterdach über mir war beinahe vollständig geschlossen, der Himmel blitzte immer nur kurz auf.
    Nach etwa hundert Metern ging die asphaltierte Straße in ein Kopfsteinpflaster über. Ich rumpelte langsam dahin und dachte schon, dass die Frau mich wohl in die Irre geschickt hatte, da erkannte ich rechter Hand einen schmalen Weg. Es sah aus wie eine Einfahrt, allerdings wenig befahren. An der linken Seite der Einmündung stand ein windschiefer Pfosten, etwa einen Meter hoch, an dem ein verbeulter, roter Briefkasten befestigt war.
    Ich hielt den Wagen an und stieg bei laufendem Motor aus. Der Briefkasten

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