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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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war nicht beschriftet oder vielleicht war er es vor langer Zeit einmal gewesen. Jetzt war keine Beschriftung mehr zu erkennen. Von nahem sah ich, dass der Kasten auch viel mehr verrostet als von roter Farbe war. Rot oder braun – auf jeden Fall war es lange her. Vielleicht wohnte am Ende des Weges niemand mehr, aber immerhin war es das erste Anzeichen für ein Wohnhaus. Ich überlegte, ob ich den Wagen am Rand der Kopfsteinpflasterstraße stehen lassen sollte. Der Sandweg war wirklich sehr schmal und ich befürchtete, dass ich am Ende vielleicht nicht einmal wenden könnte. Andererseits wusste ich nicht, wie weit das Haus noch entfernt sein mochte – falls dort überhaupt noch eines stand.
    Schließlich entschied ich mich doch für den Fußmarsch. Wenigstens hatte ich bequeme Schuhe an. Seitdem wir in Altenstein wohnten und ich handwerklich arbeitete, trug ich kaum mehr Schuhe mit Absätzen, höchstens noch, wenn Oliver und ich ausgingen oder ich mich mit einer Freundin in der Stadt traf.
    Die dicke Kittelschürze nfrau hatte Unrecht gehabt, fand ich. Für meine Verhältnisse war ich eine richtige Landpomeranze geworden. Aber in dieser Einöde gingen Jeans, Sneakers, T-Shirt und eine dünne Lederjacke vielleicht schon als feine Stadtkleidung durch.
    Ich zuckte die Schultern und ging zum Auto zurück, um es zu parken. Ich fuhr es so nahe an den Gehölzrand wie möglich und stieg aus. Meine Umhängetasche nahm ich vorsichtshalber mit. Falls das Auto geklaut würde – von wem denn? Hier war doch niemand – oder ich mich verirrte, dann hatte ich wenigstens das Handy dabei.
    Der schmale Weg schlängelte sich durch die dichten Baumreihen. Mischwald. Tannen wechselten sich mit Eichen und Buchen ab, vereinzelt ein paar Birken. Der Untergrund war sandig, doch verrieten die wenig ausgeprägten parallelen Spuren, dass hier nicht viele Fahrzeuge verkehrten. Ansonsten war der Pfad weitgehend von Gräsern und Unkraut überwuchert.
    Rechts uns links ragten die Bäume auf, zu ihren Füßen rankten Buschwindröschen mit Löwenzahn und allerlei anderen Pflanzen u m die Wette. Das Unterholz war dicht. Wenn man zwischen den Baumstämmen hindurch sah, ging der Blick nicht weit. Abseits des Weges hätte man wohl Schwierigkeiten, voranzukommen oder nicht die Orientierung zu verlieren. Es war beinahe wie ein Urwald – ein heimischer Urwald eben. Unberührt von menschlicher Hand gedieh hier alles, wie es wollte.
    Entfernungen einzuschätzen war mir schon immer schwer gefallen, also konnte ich nicht sagen, wie weit ich schon gegangen war. Vielleicht zweihundert oder dreihundert Meter?
    Einmal bleib ich stehen und lauschte. Es war still, so unglaublich still. Außer Vogelgezwitscher und einem leichten Rascheln, das von kleinen Tieren oder dem Wind herrühren mochte, war nichts zu hören. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, so abgeschieden zu leben, wirklich im Einklang mit der Natur. Doch ich glaubte, dass das nichts für mich wäre. Allein die Vorstellung, wenn ich nachts allein im Haus wäre. Unser Haus in Altenstein lag auch abseits in einer Nebenstraße, doch immerhin gab es Nachbarn. Sie waren gerade so weit weg, dass man nicht allzu viel von ihnen mitbekam, aber sie waren da. Hier war – nichts.
    Endlich wurde der Weg breiter und das Unterholz durchlässiger. Ich bog um eine weitere Ecke und stand plötzlich vor einer Lichtung. In deren Mitte erkannte ich ein großes Backsteinhaus und eine baufällig wirkende Scheune oder vielleicht war es auch ein Stall. Verstreut standen ein Schuppen und zwei weitere, kleine Backsteingebäude. In der Mitte befand sich ein gepflasterter Hof mit einem steinernen Brunnen. Soweit ich das erkennen konnte, war dieser mit einigen Brettern abgedeckt.
    Das Ganze wirkte w ie ein Bauernhof aus alter Zeit. Einstmals mochte es ein stattliches Anwesen gewesen sein, nun wirkte es verlassen, jedenfalls verwahrlost. Kaum vorstellbar, dass hier jemand wohnte. Möglich war es dennoch.
    Was für ein Jammer !, dachte ich, als ich näher kam. Um die Nebengebäude türmten sich Haufen von Schrott, Altmetall, soweit ich das erkennen konnte, zahllose alte Autoreifen, Bretter und anderer Abfall, den ich nicht näher identifizieren konnte. Dazwischen Berge von uraltem Laub, Reisig und Unkraut, das ungehindert in die Höhe wuchs, wo man auch hinsah.
    Eigentlich war die Lichtung wunderschön, das frische Buchenlaub zauberte hier, wo das Blätterdach sich öffnete und die Sonnenstrahlen vereinzelt bis zum Boden

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