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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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durchdringen konnten, ein unwirkliches, sanftes Licht. Wie unter Wasser, oder, wenn man sich die Gebäude und den Schrott wegdachte, wie in einem mystischen Reich für Elfen und Feen. Es war licht und grün und duftete nach Wald und Sonne. An diesem Tag hatte noch keine einzige Wolke am Himmel gestanden.
    Es sah nicht nach einem Ort aus, an dem eine Familie mit Kindern lebte, falls überhaupt noch jemand hier wohnte. Etwas beklommen war mir jetzt schon zumute, als ich auf das Hauptgebäude zuschritt. Während ich den mit Unkraut überwucherten Hof überquerte, beschlich mich das unangenehme Gefühl, ich sei schon einmal hier gewesen. Aber das war wohl kaum möglich.
    Das Haus war an und für sich ein schönes Gebäude, wenn die Fenster nicht fast blind vom Schmutz gewesen wären. In der Mitte der Giebelfront war ein Muster aus Backsteinen gemauert. Darunter im Mauerwerk war die eiserne Zahl 1905 verankert.
    Im Obergeschoss war eine Scheibe durch eine Spanholzplatte ersetzt. Hinter den Fenstern erkannte ich fadenscheinige Vorhänge, die größtenteils zugezogen waren. Es war unmöglich, die Farbe des Stoffes zu bestimmen. Irgendetwas zwischen weiß, grau oder beige. Schmutzig. Alles sah sehr schmutzig aus. Seit langem sorgte hier niemand mehr für Sauberkeit oder Ordnung. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie das Haus von innen aussah.
    Etwas in mir flüsterte: Nora, sieh zu, dass du weiter kommst. Fahr nach Hause, vergiss das Bett, kauf dir ein neues bei IKEA. Was willst du hier?
    Doch ich war noch nie besonders gut darin gewesen, auf meine innere Stimme zu hören, vor allem dann nicht, wenn es die Stimme der Vernunft war. Wenn sie es denn war. Vielleicht war es auch nur mein kleiner Feigling, der Drückeberger, der nicht gern mit fremden Leuten redete?
    Wie auch immer, ich ging weiter. Zögernd, aber ich ging weiter. Da ich nun schon einmal so weit gekommen war, würde ich auch noch den letzten Schritt gehen. Ich würde klingeln und sehen, wer hier lebte. Vermutlich würde ich ohne Erkenntnisse, die mich weiter bringen würden, wieder nach Hause fahren. Aber dann hatte ich es wenigstens versucht.
    Seitlich der Haustür befand sich eine aus groben Brettern gezimmerte Hundehütte, die ziemlich morsch aussah. Daneben lag ein umgekippter Eimer, aus dem etwas ausgelaufen war. Es stank. Ich rümpfte die Nase und trat drei Stufen zur Tür hinauf. Der Klingelknopf, auf den ich zweimal drückte, gab keinen Laut von sich.
    « Hallo?», rief ich und hob die Hand, um an die zweiflügelige Tür zu klopfen. Die übrigens, wenn man sie nur wieder einmal streichen würde, bestimmt wunderschön aussehen würde. Sie war grün und weiß und mit Schnitzereien verziert. In Brusthöhe war ein Bleiglasfenster eingelassen. Meine Hand hatte das Holz noch nicht berührt, da hörte ich eine Stimme hinter mir rufen.
    « Ja?»
    Ich erschrak so sehr, dass es sich anfühlte, als würde m ir das Herz stehenbleiben. Das tat es natürlich nicht, aber es klopfte schmerzhaft, als ich mich umdrehte.
    Vier oder fünf Schritte von mir entfernt stand ein Mann unbestimmten Alters. Er konnte ebenso gut jünger als ich sein wie auch deutlich älter. Er hatte ein alterslos rundliches Gesicht, dabei war er keineswegs dick, eher kräftig gebaut. Der Mann trug einen Arbeitsanzug aus dunkelblauem Stoff, wie Klempner ihn manchmal tragen und hielt einen Spaten in der Hand.
    Eines wusste ich sofort: Er war nie im Leben der böse Mann aus dem Traum. Das war immerhin beruhigend. Dennoch kam er mir seltsam bekannt vor, aber das mochte daran liegen, dass er so ein Allerweltsgesicht hatte. Es mochte sich gemein anhören, aber ich war mir sicher, dass ich ihn vergessen hätte, kaum dass ich mich umdrehte. Es gab solche Gesichter. Konturlos irgendwie.
    « Oh, Sie haben mich aber erschreckt», stotterte ich. «Sind Sie Herr Thönges?»
    Der Mann schien zu überlegen. Vermutlich war er einfach nur überrumpelt von meinem Besuch. Bestimmt verirrten sich nicht oft Besucher hierher.
    « Wer will das wissen?»
    Die Frage klang barsch, dabei wirkte der Mann gar nicht unfreundlich. Er wirkte – ich konnte gar nicht sagen, wie. Es war eigenartig, er verzog keine Miene. Weder freundlich noch böse. Das war höchst irritierend und ich fing an zu stottern.
    «Ich bin Nora Morgenroth. Nun, ich, wir kennen uns nicht. Ich wollte nur … ich habe Ihr Bett gekauft, wissen Sie …»
    « Mein Bett?»
    « Ja, das große, geschnitzte Bett. Wenn Sie Herr Thönges sind …»
    «Haste

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