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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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alten Bedauern ein weit aus schlimmerer Gedanke hinzu: Hätte ich Sybille begleitet, dann wäre ich zu Weihnachten weit fort gewesen und wir wären nach Mutters Gänsebraten nicht durch die Bars gezogen, Hedda wäre nicht spät nachts mit uns durch das Schneegestöber gefahren – und Marc würde noch leben. Ich drehte mich mit dem Handy in der Hand auf die Seite, rollte mich ganz klein zusammen und schluchzte auf. Die Tränen strömten nur so aus mir heraus, ich weinte um Daniel und Hedda und Marc und weil ich meine Freundin so sehr vermisste. Plötzlich spürte ich, wie sich eine eigenartige Hitze über meinem Rücken ausbreitete, als drückte mir jemand eine Wärmflasche zwischen die Schulterblätter. Es war angenehm und beruhigend. Während mein Schluchzen langsam verebbte, nahm das Rauschen den ganzen Raum ein, um mich herum flatterte und surrte es.
    Weine nicht … Kind… alles wird gut.
    Ich schr ak hoch und blickte wild um mich. Da war niemand, ich war allein.
    Meine Fingerspitzen kribbelten. Ich legte das Handy auf die Bettdecke und ballte meine Hände mehrmals kurz hintereinander zu Fäusten, doch das Gefühl von Taubheit in den Fingern blieb. Wenn mich nicht alles täuschte, dann konnten solche Störungen vom Rücken ausgehen, vermutlich war bei dem Unfall doch ein Nerv eingeklemmt worden oder dergleichen. Ich griff nach der Klingel und läutete. Ein Pfleger, den ich noch nie gesehen hatte, erschien in der Tür.
    … h ab keine Angst … Kind.
    Ich keuchte entsetzt auf.
    „Ich weiß nicht, was mit mir los ist, es rauscht dauernd in meinen Ohren, mir ist so heiß und ich spüre meine Finger nicht mehr!“
    Dass ich auch noch Stimmen hörte, sagte ich nicht. Ich wollte untersucht werden, und zwar schnellstens, aber nicht gleich in der Psychiatrie landen. Vermutlich gab es eine ganz einfach medizinische Erklärung für alles, ein eingeklemmter Nerv oder vielleicht ein geplatztes Trommelfell, ich hatte ja keine Ahnung. Genau deswegen wollte ich schnellstmöglichst untersucht werden. Es machte mir Angst und ich wollte endlich wissen, was mit mir los war.
    Der Pfleger war mit wenigen Schritten an meinem Bett und legte mir seine kühle Hand auf die Stirn. Er schüttelte den Kopf und lächelte mich beruhigend an.
    „ Also, Fieber haben Sie nicht.“
    „Ich will aber sofort einen Arzt sprechen, am besten Frau Dr. Weber!“
    „Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal, ich gehe gleich und sehe, was ich tun kann. Aber das kann dauern. Haben Sie heute Mittag denn etwas gegessen?“
    Ich nickte, bat aber trotzdem um etwas Saft. Als der Pfleger wieder gegangen war, schaltete ich den Fernseher ein. Ungeduldig spielte ich nebenbei mit dem Handy. Die Stelle am Rücken fühlte sich wieder normal an, meine Hände auch. Ich stellte den Ton des Fernsehers lauter, doch das Rauschen war einfach zu störend, also schaltete ich das Gerät wieder aus.
    Dann nahm ich endlich meine Antwort an Sybille in Angriff. Selbstverständlich würde ich sie nicht bitten, zurück zu kommen. Sie hatte noch knapp drei Monate in Australien vor sich, das würde ich ihr nicht kaputtmachen.
    Alles okay mit mir, Hedda ist schlimmer dran, wird nicht leicht für sie. Bleib du, wo du bist und genieße die Zeit. Wenn ich wieder zuhause bin, schreibe ich dir eine ausführliche Mail. In Liebe,Nor a , schrieb ich.
    Als die Tür das nächste Mal aufging, hoffte ich auf einen Arzt, aber es war nur die Hilfsschwester mit dem Abendessen: zwei Scheiben trocken aussehendes Graubrot, etwas Wurst, Käse, eine Banane und ein kleiner Joghurt. Ich schnappte mir die Banane und aß sie gleich, auf das andere hatte ich keinen Appetit. Dann wurde ich müde. Ich rückte mir das Kissen zurecht und versuchte, es mir so bequem wie möglich zu machen, ohne dabei einzuschlafen, denn sonst würde ich nur wieder in der Nacht wachliegen.
    Mein Handy brummte, ich hatte den Klingelton ausgestellt.
    Alles erledigt, Trauerfeier Mitte Januar, Ärzte sagen okay, bis morgen, deine Mutter.
    Deine Mutter? Wessen Mutter hätte es wohl auch sonst sein sollen, dachte ich gehässig. Meine ganze Wut auf sie, dieser alte Groll über tausend verpasste Gelegenheiten, war eine willkommene Ablenkung. Ich war gerade dabei, mich so richtig schön hineinzusteigern, da ging die Tür erneut auf. Ein Mann mittleren Alters in weißem Kittel und mit Stethoskop um den Hals trat ein.
    „Was haben wir denn für ein Problem?“
    Guten Tag erstmal, dachte ich, und was Sie für ein Problem haben, das weiß ich

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