Nora Morgenroth: Die Gabe
steckte den Kopf herein.
„Ist hier alles in Ordnung?“
Das war es durchaus nicht, aber ich nickte gehorsam. Strenge Krankenschwestern schüchterten mich immer ein . Ich fühlte mich wie ein Kind, das ausgeschimpft wurde. Als sie weg war, nahm ich Mutter erneut ins Visier, senkte aber die Stimme.
„Gut, ganz wie du willst. Dann wirst du jetzt auf der Stelle zu Hedda gehen und ihr mitteilen, dass du dich nicht um Marcs Beerdigung kümmerst. Verstecke dich nicht hinter mir, ich werde ihr ganz bestimmt nicht sagen, dass unsere Mutter sie im Stich lässt.“
Das ‚wieder einmal‘, das mir auf der Zunge lag, verkniff ich mir, auch wenn ich es zu gern ausgesprochen hätte. Doch meine Bitterkeit über vergangene Versäumnisse würde uns jetzt nicht weiterhelfen. Ich fühlte mich noch nicht kräftig genug, um das Krankenhaus zu verlassen, auch wenn ich das auf eigenen Wunsch und eigenes Risiko wohl hätte tun können. Es nützte niemandem etwas, wenn ich dann draußen zusammenklappte. Außerdem wollte ich das Problem mit meinem Gehör noch abklären, ehe ich ging, das konnte ja alles Mögliche sein. Also musste Mutter die ersten Schritte in die Wege leiten, ob sie wollte oder nicht. Sie zeterte indessen weiter.
„Das ist ungerecht, nach allem, was ich für euch getan habe! Ich habe mir extra freigenommen, um bei euch sein zu können, das war auch nicht so einfach!“
„Es tut mir sehr leid, wenn wir dir Umstände machen und du vielleicht eine Villa weniger verkaufst in diesem Monat, aber wir haben gerade einen Todesfall in der Familie. Falls dir das entgangen ist.“
Ich hätte vor Wut aus dem Bett springen können. Mutter und ihre Karriere!
Bald nach Vaters Tod hatte sie eine Arbeit in einem exklusiven Immobilienbüro gefunden, da waren wir ja noch klein und sie musste uns nun allein ernähren. Erst war sie als Sekretärin, dann als Assistentin angestellt, später wurde sie zur rechten Hand des Chefs. Als der sich vor einigen Jahren aus dem Tagegeschäft zurückzog, hatte er Mutter zu seiner Nachfolgerin erkoren. Sie war ganz in ihren Aufgaben aufgegangen und hatte nicht schlecht verdient, als Geschäftsführerin nun sowieso. Alle zwei Jahre gönnte Mutter sich ein neues Cabriolet. In Vallau residierte sie in einem Loft, das diesen Namen auch verdiente. Bruchbuden wie meine waren weit unter ihrem Niveau, außerdem fädelte sie fast ausschließlich Verkäufe ein, selten nur Vermietungen und wenn, dann handelte es sich um Luxusobjekte. Als ich wegen der Trennung von Daniel eine neue Bleibe benötigte, hatte ich auf ihre Hilfe verzichtet, was sie mir im Übrigen immer noch nachzutragen schien. Bisher hatte sie noch keinen Fuß über meine neue Schwelle gesetzt, eingeladen hatte ich sie allerdings auch nicht. Ich hatte es unter Anderem deswegen vorgezogen, im wenig spektakulären Erzfeld zu bleiben, weil ich Hedda dann weiterhin in meiner Nähe hätte und unsere Mutter sich nicht so oft dorthin verirrte. Außer in den letzten Tagen natürlich.
„Vielleicht denkst du auch mal an Hedda, wie es ihr geht?“
Ich stierte Mutter wütend an.
„Also gut, was soll ich deiner Meinung nach tun?“
Ich seufzte unhörbar. Wenn es um ihre Immobilien ging, dann war Frau Ursula Morgenroth eine der gewieftesten Geschäftsfrauen, die man sich nur denken konnte. Ihre Taktik schwankte zwischen stählerner Unnachgiebigkeit und einem immer noch mädchenhaften Charme. Zwischen beidem konnte sie vollkommen mühelos umschalten. Doch wenn es darum gegangen war, sich unangenehmen Gesprächen mit unseren Lehrern auszusetzen, unsere aufgeschürften Knie zu verbinden oder sich den tränenreichen Liebeskummer ihrer Töchter anzuhören, dann war Mutter immer schlagartig hilflos und suchte, wenn möglich, das Weite. Im Zweifel war dann immer Großmutter eingesprungen und hatte verhandelt, eklige Wunden gesäubert und getröstet. Doch Omi war nun nicht mehr da, also musste Mutter selber ran. Dieses Mal konnte sie sich nicht drücken.
„Du könntest damit anfangen, dass du die Krankenhausverwaltung anrufst und abklärst, wann Marc überführt werden kann. Dann such e einen Bestatter aus, du meine Güte, schau ins Telefonbuch oder was weiß ich. Oder halt, wir nehmen am besten den Seelmann, der damals Omi beerdigt hat. Und wir müssen entscheiden …“
Jetzt stockte ich, es ging mir nicht so leicht über die Lippen.
„In Anbetracht von Heddas Zustand, ich meine, sie wird ja nicht so bald laufen können. Da kommt wohl nur die
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