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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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lassen, aber ich war zuversichtlich, dass ich den Weg zu Hedda heute allein würde bewältigen können. Zuerst musste ich auf die Toilette. Ich war einen Schritt gegangen, da wurde die Tür schwungvoll aufgerissen.
    „Frühstück!“
    Eine Frau in hellgrünem Kittel trug das Tablett herein, dann blieb sie mitten im Raum stehen.
    „Was ist denn hier passiert?“
    Ich schlurfte um das Bett herum und blieb stehen. Unterhalb des Vogelbildes lag mein Handy in mehreren Einzelteilen. Das Display hatte einen Sprung, der sich wie ein Spinnennetz von der Mitte ausbreitete.

 
DREI
    „Ihnen fehlt nichts, Frau Morgenroth“, sagte Frau Dr. Weber und lud mich mit einer Handbewegung ein, gegenüber ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen. „Wir haben Sie nun mehr als wirklich gründlich durchgecheckt und absolut nichts gefunden.“
    Sie studierte die vor ihr liegenden Unterlagen, blätterte einmal vor, dann wieder einmal zurück. Die Ärztin sah auf und lächelte mich an.
    „ Das sind doch gute Nachrichten, nicht wahr? Ihr Eisenwert ist etwas niedrig, aber das können Sie mit etwas gesunder Ernährung leicht in den Griff bekommen. Ich kann Ihnen auch ein Präparat empfehlen, das müssen Sie aber selbst bezahlen, das übernimmt die Kasse nicht. Ansonsten geht es Ihnen körperlich gut, soweit wir feststellen können. Dennoch ist so ein Unfall eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung. Und dann das mit Ihrem Schwager …“
    Irgendwie war ich enttäuscht . Ich war kerngesund, die Prellungen heilten gut ab und ich sollte am nächsten Morgen das Krankenhaus verlassen, am letzten Tag des Jahres. Was hatte das alles dann zu bedeuten, wenn mir nichts fehlte?
    „Wie geht es denn Ihrer Schwester? Ich meine, ich weiß von den Kollegen in der Chirurgie, dass ihr Bruch gut verheilt und sie schon bald in die Reha wechseln kann, aber wie geht es ihr sonst? Wie verkraftet sie den Tod ihres Mannes?“
    Vor dem Arztgespräch hatte ich Hedda einen kurzen Besuch abgestattet, aber sie hatte merkwürdig apathisch gewirkt. Sie machte kaum den Mund auf und blickte nur immer wieder ins Leere . Mit etwas Phantasie konnte man sich ausmalen, welche Schuldgefühle meine Schwester quälen mussten. Ihr Mann war ums Leben gekommen, während sie am Steuer saß. Wie sollte es einem da schon gehen? Ich zuckte die Schultern.
    „Einigermaßen, denke ich. Die Trauerfeier findet in der zweiten Januarwoche statt, damit Hedda dabei sein kann. Im Rollstuhl oder wie wir das auch immer hinbekommen. Aber wie es dann weitergehen soll, das weiß ich auch nicht. Vielleicht ziehe ich erst einmal zu ihr. Wir haben immer zusammengehalten, also werden wir auch das schaffen.“
    „Da bin ich mir sicher, Frau Morgenroth. Es ist natürlich hart, aber vielleicht sollten Sie beide sich professionelle Hilfe holen, für die Zeit nach dem Krankenhaus.“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Ach was, ich werde meiner Schwester ja wohl ein paar Wochen im Haushalt helfen können, bis sie wieder auf den Beinen ist.“
    „Das meinte ich eigentlich nicht“, gab die Ärztin zurück. „Ich dachte da eher an psychologischen Beistand. Für Sie beide. Ich bin mir sicher, dass Ihr Unwohlsein in den letzten Tagen auf den Schock zurückzuführen ist. Wissen Sie, das ist doch keine Schande, sich Unterstützung zu holen in einer so schwierigen Zeit. Es ist gut möglich, dass Sie sich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern, weil sie schnell bewusstlos waren, aber es kann auch sein, dass Sie das Ganze verdrängen. Schließlich ist neben Ihnen jemand gestorben, das ist auf jeden Fall traumatisch.“
    Oh, danke, dass Sie mich daran erinnern . Frau Dr. Weber war nett zu mir gewesen und bestimmt eine gute Ärztin, aber ich wollte einfach nur noch raus. Plötzlich hatte ich nicht mehr genug Luft zum Atmen. Ich stand auf, musste mich aber am Stuhl festhalten. Das Rauschen umhüllte mich wie ein knisternder Umhang. Während ich mich von der Ärztin verabschiedete, die mir alles Gute und einen guten Start in ein hoffentlich besseres und gesundes neues Jahr wünschte, vernahm ich ihre Worte nur noch undeutlich, wie aus weiter Ferne.
    Das Nächste, woran ich mich bewusst erinnere, ist, dass ich in meinem Krankenzimmer am Fenster stand und hinaus blickte. Wie war ich zurück gekommen? Ich stand einfach da, sah hinaus und fühlte mich, als wäre ich gerade erst wieder in meine eigene Haut geschlüpft. Das war unheimlich. Aber wenigstens war das Rauschen fort.
    Das Klopfen an der Tür schreckte mich auf,

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