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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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den nächsten Tagen verlassen konnte. Als ich wieder in meinem Bett lag, bat ich sie darum, Daniels Blumen mit hinaus zu nehmen. Ich behauptete, von dem Duft Kopfschmerzen zu bekommen.
    „So ein schöner Strauß, das ist aber schade! Wenn Sie nich ts dagegen haben, dann stelle ich ihn in das Schwesternzimmer!“
    „Nur zu, ich bin wohl gegen etwas darin allergisch“, sagte ich und griff nach meinem Mobiltelefon, das auf dem Nachttisch lag. Es hatten sich mittlerweile etliche Nachrichten angesammelt. Obwohl ich kaum Lust verspürte, über das zu reden oder zu schreiben, was geschehen war, machte ich mich nach dem Essen daran, eine nach der anderen zu beantworten. Zuerst schrieb ich an meine beiden Kolleginnen aus dem Buchladen, in dem ich vormittags arbeitete. Sie wussten schon Bescheid, da Mutter mich bei der Chefin krankgemeldet hatte. Das wäre an sich nicht notwendig gewesen, ich hatte ohnehin noch Urlaub und wurde erst am 3. Januar wieder im Laden erwartet. Franka und Monika hatten beide geschrieben. Ich sollte mich doch bitte melden und sie seien immer für mich da. Vor meinem inneren Auge sah ich sie in unserem kleinen Pausenraum neben dem Lager sitzen. Monika mit den glänzenden Acrylnägeln drückt auf ihrem nagelneuen Smartphone herum, wobei sie angestrengt über ihre eckige Lesebrille hinwegblickt, die ihr wie stets ganz vorn auf der Nasenspitze sitzt. Franka würde sagen: „Scheiße, das ist so krass!“ und in schwindelerregender Geschwindigkeit auf ihrem rosafarbenen Billighandy herum tippen, ohne wirklich hinzusehen. Bei dieser Vorstellung musste ich grinsen. Die beiden waren ein witziges Gespann. Mit mir zusammen waren wir, genau genommen, ein ziemlich ungleiches Trio. Franka war jung, erst Anfang zwanzig, ihr rundes Gesicht zierten Piercings in Nasenflügel, Lippe und Augenbrauen. Ihre Haare waren weißblond gebleicht und sehr kurz geschnitten, außerdem trug sie bevorzugt Schwarz, dazu viel Rosa, Glitzer und ihre unvermeidlichen Springerstiefel. Franka hatte bei uns ihre Ausbildung absolviert und war geblieben. Der Laden hatte vor kurzem den Besitzer gewechselt und war nach einigen Umbauten von der traditionsbewussten Buchhandlung Meyer i n Books & Mor e umgetauft worden. Die neue Chefin, Karoline, hatte die etwas biedere Ausstattung des verstorbenen Herrn Meyer entfernt und für ein modernes Ambiente gesorgt. Ansonsten änderte sich für uns Angestellte wenig, nur, dass wir nun neben den Büchern auch frisch gepresste Fruchtsäfte, Tee und Kaffee anboten. Monika war nur fünfzehn Jahre älter als ich und dennoch so etwas wie eine Mutterfigur. Eigentlich für uns alle im Laden. Sie war klug und ungeheuer witzig, was man hinter dem etwas steifen Äußeren nicht gleich vermutete. Wir drei waren vielleicht nicht gerade das, was man enge Freunde nannte, aber wir verstanden uns gut und manchmal gingen wir auch zusammen aus.
    Danach tippte ich noch eine kurze Nachricht an meine Chefin, dann ließ ich das Handy auf die Bettdecke sinken. An Sybille zu schreiben, fiel mir am schwersten. Sie hatte schon zwei Anrufe und eine SMS auf meinem Handy hinterlassen : Monika hat mich angerufen. Ich denke an dich. Melde dich, sobald du kannst. Soll ich kommen?
    Sybille war so weit fort und fehlte mir in diesem Moment noch mehr als in den vergangenen Monaten. Im Frühjahr hatte sie eine Auszeit von ihrem Job bei einer großen Versicherung genommen, um für ein Jahr mit Work & Travel durch Australien zu ziehen. Das bedeutete, dass sie weitgehend auf sich allein gestellt durch das Land reiste und ihren Aufenthalt mit Aushilfsarbeiten finanzierte. Die Mitreisenden waren zumeist jüngere Leute, die gerade ihre Schule abgeschlossen hatten, doch zu jener Zeit hatte Bille auf die Eltern gehört. Sie trug den unerfüllten Traum viele Jahre mit sich herum, bis sie eines Tages entschied: Ich mache das. Sie fand rasch einen ausländischen Studenten als Untermieter für ihre Wohnung und war schneller fort, als ich gedacht hätte. Natürlich hatten wir damals im Scherz überlegt, wie toll es wäre, wenn ich sie begleiten würde. Aber ich tat es nicht, weil ich mir nicht hatte vorstellen können, mich so lange von Daniel zu trennen. Fast ein ganzes Jahr! Ich fürchtete, unsere Beziehung aufs Spiel zu setzen, dabei hatte Daniel das schon längst getan. Dummerweise wusste ich nur noch nichts davon. Es hätte ja überhaupt keinen Unterschied mehr für uns gemacht, vermutlich hätte ich ihm sogar einen Gefallen getan.
    Nun kam zu dem

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