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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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uniformierte Beamte und Männer und Frauen in Zivil gingen ein und aus. Mit einem kaum hörbare n Pl i ng öffnete sich an der gegenüberliegenden Wand eine Fahrstuhltür: Ein Mann trat heraus, mit einem Gesicht wie der Schurke aus einem amerikanischen Actionfilm vielleicht. Oder ein Segler, ein Seemann, der sein ganzes Leben an der frischen Luft zubrachte. Ich richtete mich unwillkürlich auf und drückte den Rücken durch. Nachdem der Mann einige Worte mit der Beamtin am Empfang gewechselt hatte, kam er mit langen Schritten auf mich zu. Das war der Hauptkommissar? Er war nicht sehr groß, aber muskulös, ein Sportler, so schätzte ich ihn ein, dazu dieses markante Gesicht mit den hellsten Augen, die ich jemals an einem Menschen gesehen hatte. Ich stand auf und schluckte. Ohne dass wir auch nur ein Wort gewechselt hatten, fühlte ich mich schon durchschaut. Dieser Blick - was für eine dämliche Idee von mir, hierher zu kommen. Dies war kein Spiel mehr. Hier kam ein echter Polizist auf mich, der Verbrechen aufklärte und sich nicht mit Hirngespinsten beschäftigen würde. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Während mir wirre Fluchtgedanken durch den Kopf schossen, streckte er mir eine gebräunte Hand entgegen.
    „Lüdke. Sie hatten nach mir gefragt?“
    Oh Mann, dachte ich, der wird meine schwachsinnige Geschichte in der Luft zerreißen. 
    „Morgenroth, Nora Morgenroth“, krächzte ich und lief zu meinem Entsetzen auch noch rot an. Seine Hand umschloss die meine fest und warm . Die hellen Augen waren von einem Kranz feiner Lachfältchen umrahmt, aber der Mund lächelte nicht. Er wirkte dabei nicht unfreundlich, nur konzentriert.
    „ Es geht um Fall Yasmine Abassian? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns im Zuge der Ermittlungen schon getroffen haben.“
    „Ja, also nein“, stotterte ich. „Aber ich würde trotzdem gern mit Ihnen reden, ich glaube, es könnte wichtig sein.“
    Die hellen Augen hefteten sich an meine, wanderten über mein Gesicht wie ein Scanner. Dann nickte er.
    „Kommen Sie, wir haben hier einen kleinen Raum, da können wir in Ruhe reden. “
    Er führte mich von der Halle aus in einen Gang, von dem mehrere Türen abgingen. Man hörte Tastaturgeräusche, Telefone klingelten, eine Frau lachte hell auf.
    Der Polizist öffnete die Tür zu einem fensterlosen Raum, in dem ein runder Tisch mit vier Stühlen stand und ließ mich eintreten. In einer Ecke befand sich ein kleines Wandregal mit einem Telefon darauf, mehr nicht. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir, Platz zu nehmen, er selbst setzte sich auf den Stuhl gegenüber. Jetzt bemerkte ich den blassgrünen Papphefter, den er in der Hand gehalten hatte und nun vor sich auf den Tisch legte. Die Körperhaltung des Polizisten drückte entspannte Erwartung aus, wenn man das so sagen konnte. Er lehnte sich im Stuhl zurück und legte die locker gefalteten Hände auf den Tisch. Ich hingegen hätte mich am liebsten irgendwo eingegraben, knetete unter dem Tisch nervös meine Finger. Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte.
    „Also, Sie wollten uns zum Fall Abassian etwas mitteilen?“
    „Nun ja, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, Herr äh …. Wie spreche ich Sie eigentlich korrekt an?“
    Das verschaffte mir einen kleinen Aufschub.
    „Ich bin Kriminalhauptkommissar, aber Herr Lüdke reicht. Also?“
    Ich gab mir einen Ruck. Nun war ich einmal hier, dann musste ich auch den Mund aufmachen.
    „Ja also, Herr Lüdke, das hört sich jetzt vielleicht etwas komisch an, aber ich glaube, Yasmine hatte einen Liebhaber, von dem Sie vielleicht noch nichts wissen und darum dachte ich, Sie sollten es wissen, damit Sie ihn befragen können und …“
    Ich verhedderte mich in meinem eigenen Gestammel und verstummte.
    „Also kannten Sie Frau Abassian?“
    „Nein, nicht direkt.“
    „Frau Morgenroth, mit ‚nicht direkt‘ kann ich nichts anfangen. Kannten Sie Frau Abassian nun oder nicht?“
    Ich wich dem forschenden Blick aus, sah an die Decke, doch da fand ich auch keine Antwort.
    „Nun … nein, ich kannte sie nicht, aber ich wohne jetzt in ihrer Wohnung.“
    „Ach. Ja, und?“
    „Nein, vergessen Sie es, ich habe mich geirrt.“
    Es war zwecklos, ich musste mir das Ganze aus dem Kopf schlagen, meinen Mietvertrag kündigen und mit oder ohne Hedda fort ziehen. Ich stand auf, bewegte mich aber nicht von der Stelle. Lüdke blieb so ungerührt sitzen, dass man es fast schon unhöflich nennen konnte. Aber vielleicht galten die allgemein

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