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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Inzwischen war es fast, als lebte ich mit Yasmine zusammen und ich kannte ihre Gefühle wie meine eigenen. Ich schärfte meine Sinne für Yasmines Botschaften, die in Bildern von unterschiedlicher Klarheit über mich kamen. Immerhin hatte ich seit dem Absturz im Night & Da y keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Das Beste aber war: Ich war nicht mehr einsam, wenn ich Yasmines Nähe spürte. Sobald ich in meiner Wohnung war und das Rauschen sich näherte, ließ ich alles stehen und liegen und gab mich hin. Meine langen Haare waren dann nicht blond, sondern umgaben mich wie ein dichter, dunkler Schleier. Ich tanzte, wie Yasmine getanzt hatte, spürte die begehrlichen Blicke der Männer auf meiner Haut, doch keiner von ihnen durfte mich berühren. Ich mochte sie nicht. Sie waren ekelhaft und geil.
    Die Eltern durften es niemals erfahren. Wir taten das alles nur für sie, damit wir jeden Monat Geld schicken konnten. Sie waren so stolz, dass ihr Kind es im fernen und reichen Deutschland zu etwas brachte. Das war doch ihr einziger Wunsch: Yasmine sollte es einmal besser gehen als ihnen, studieren und einen guten Beruf erlernen. Währenddessen vergingen wir vor Sorge wegen Mamas Krankheit. Was war denn das ganze schöne Studium wert, wenn sie sich nicht behandeln lassen konnte? Voller Scham schrieben wir den Eltern liebevolle Briefe voller Lügen. Jede Woche aufs Neue. Wir zerrissen uns zwischen dem Pflichtgefühl der fleißigen und gehorsamen Tochter und der Gewissheit, dass wir nur so das nötige Geld verdienen konnten. Irgendwann fehlte dann die Kraft, abends noch in die Bücher zu sehen. Es ekelte uns vor allem, am meisten vielleicht vor uns selbst. Stattdessen tanzten wir und wünschten uns dabei weit fort. Doch dann kam einer, der anders war, nicht so gierig, dafür leidenschaftlich und großzügig.
    Immer und immer wieder durchlebte ich die Bilder, ich war in Yasmines Körper, als sie von d em Mann geliebt wurde, der John van der Brelie hieß. Ich spürte, wie sehr er sie begehrte und ganz für sich haben wollte. Ich war zierlich und biegsam und genoss das Gefühl, zum ersten Mal im Leben von einem bedeutungsvollen Mann wahrgenommen zu werden, nein, nicht nur das, er liebte mich, denn ich sah doch seinen Blick und fühlte seine Hände auf meinem Körper, ich hörte, was er mir versprach. Endlich musste ich nicht mehr die anderen Männer ertragen mit ihren lüsternen, aber kalten Blicken.
    Eines Abend s führte er mich in die Wohnung. Es war warm und roch nach Frühling. Dies war seine Überraschung für mich, viel schöner als das Zimmer, das ich bisher bewohnt hatte. Ich hatte Geburtstag. So etwas hatte noch kein Mann für mich getan. Der kleine Tisch auf der Dachterrasse war gedeckt, nur für uns zwei, und am Ende, bevor er gehen musste, liebte er mich dort oben unter freiem Himmel. Ich wusste, ich musste nur noch ein wenig Geduld haben. Eines Tages würde nicht nur ich ihm gehören, sondern er auch mir. Er trug meinen zierlichen Körper auf seinen starken Armen, so dass ich mich geborgen fühlte und er brachte mir Geschenke. All die schönen Kleider und ich durfte nur noch für ihn tanzen, weil er das liebte. Es gab nur noch uns beide auf der Welt. Ich warte jeden Tag auf ihn, doch oft wartete ich vergebens. Ich war sehr allein, denn ich ging fast niemals aus. Er mochte das nicht und ich wollte nicht den Moment verpassen, falls er unerwartet vor der Tür stand. Wir hatten doch nur so wenige gemeinsame Stunden. Wenn er kam, dann war ich glücklich. Er gab mir das Gefühl, wunderschön zu sein, so klug und begehrenswert und besonders. Er musste mich ganz allein für sich haben. Er sprach von Liebe und dass ich noch Geduld haben müsste. Und er gab mir Geld, genug, dass ich den Eltern immer etwas schicken konnte. Ich nahm mir vor, im Winter das unterbrochene Studium wieder aufzunehmen. Er ermutigte mich in meinen Plänen und dafür liebte ich ihn umso mehr. Irgendwann wurde ich ungeduldig. Er hatte mir doch versprochen, dass er bald mehr Zeit für mich haben würde. Doch als ich das sagte, wurde er sehr böse und so wütend, dass ich zum ersten Mal Angst bekam. Wir vertrugen uns und ich versprach, alles zu tun, was er verlangte, damit wir zusammen sein könnten, eines Tages. Und dann geschah es. Ich musste es ihm sagen. Er wurde so entsetzlich wütend. Wir stritten und Yasmines zarter Körper fiel mit mir zusammen ins Bodenlose, wir sahen das gelbe Rechteck auf uns zukommen und schlossen unsere Augen erst kurz vor

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