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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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dem Aufprall. Immer wieder sah ich seine Hände, die mich von sich stießen und ich rief noch seinen Namen, als ich fiel.
    John , nein bitte nicht. John!
    Es war wie eine Sucht, von der ich immer schwerer lassen konnte. Manchmal blieben die Bilder fern . Dann war ich sehr allein und versuchte, nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn Yasmines Fall tatsächlich eines Tages aufgeklärt war. Ich hielt mich lieber an der unbestimmten Vorstellung fest, dass es für immer so bleiben würde.
    An diesem Wochenende konzentrierte ich mich darauf, was ich dem Kommissar am Montag erzählen wollte. Wie sollte ich erklären, woher ich meine Informationen hatte? Am Sonntagabend hatte ich alle denkbaren Szenarien durchgespielt und noch immer keine brauchbare Lösung gefunden. Ich saß mit meinem vollgekritzelten Block auf dem Sofa und nippte hin und wieder an meiner Tasse. Komischerweise mochte ich in letzter Zeit nicht nur keinen Alkohol, sondern auch keinen Kaffee mehr trinken. Also trank ich Tee.
    Ich schrieb und schrieb und strich wieder durch. Die Behauptung, dass ich Yasmine gekannt h atte und sie mir zu Lebzeiten von der Liaison mit dem bekannten Politiker erzählt hätte, würde man mir allzu schnell widerlegen. Außerdem, was sollte ich sagen, warum ich in den vergangenen Monaten nicht schon damit herausgerückt war? Am Ende machte ich mich noch strafbar, weil ich Informationen zurückgehalten hatte.
    Nein, so ging das nicht.
    Und wenn ich sagte, dass ich in der Wohnung einen versteckten Hinweis auf John gefunden hätte? Was könnte das sein, vielleicht ein Brief? Das Problem war nur: Das Loft war vor meinem Einzug gründlich renoviert worden, sogar die Fußböden waren neu. Niemand hätte an den glatten und frisch gestrichenen Wänden etwas verbergen können. Außerdem konnte ich ja schlecht mit Yasmines Handschrift schreiben oder ihre Fingerabdrücke reproduzieren, wonach die Polizei vermutlich als Erstes suchen würde.
    Die Wahrheit war aber auch unmöglich. Der Mann würde mir nie im Leben glauben.
    Herr Kommissar, befragen Sie doch mal den Herrn van der Brelie wegen seines Verhältnisses zu Yasmine Abassian. Die hatten was miteinander, ich weiß es so genau, weil ihr Geist mich immer besucht, außerdem war ich dabei, als die beiden miteinander geschlafen haben.
    Man würde mich in hohem Bogen hinauswerfen. Trotzdem konnte und wollte ich nicht von meinem Plan lassen, ich musste es wenigstens versuchen. Für Yasmine, damit sie zur Ruhe kommen konnte, so stelle ich mir das jedenfalls vor. Gar nichts zu unternehmen, war keine Option mehr für mich.
    Immerhin bestand noch die Möglichkeit, dass ich die Bilder falsch interpretiert hatte und dieser John nichts mit ihrem Tod zu tun hatte. Vielleicht hatte sie im Augenblick des Sturzes nur an ihn gedacht, was sich nun auf mich übertrug. Dummerweise konnten wir nicht miteinander reden, was ich zwar nicht gänzlich verstand. Vielleicht lag es daran, dass wir nur die Wohnung gemeinsam hatten, uns aber nie wirklich begegnet waren. Ich wusste nur, dass die Bilder, die ich immer wieder sah, etwas zu bedeuten hatten. Yasmine und dieser John hatten sich gekannt, da war ich mir ganz sicher. Warum also war die Polizei nicht auf ihn gekommen, warum hatte er sich nach ihrem Tod nicht bei der Polizei gemeldet? Ganz einfach, weil er etwas zu verbergen hatte. Es musste mir irgendwie gelingen, wenigstens den Verdacht in seine Richtung zu lenken. Wenn dieser Polizist dem dann erst einmal nachging, dann würden sie hoffentlich die Wahrheit herausfinden. Dummerweise hatte ich nicht die geringste Ahnung davon, wie die Polizei arbeitete – außer dem, was man so im Fernsehen sah, aber das war vermutlich nicht besonders realistisch.
    Ich klappte schließlich den Block zu und ging schlafen, weil ich ohnehin keine neuen Ideen mehr hatte. Dann würde ich am nächsten Tag improvisieren müssen, und je nachdem, wie zugänglich der Kommissar sich zeigte, würde sich das Gespräch schon irgendwie entwickeln.
    Am nächsten Morgen war ich bereits vor neun Uhr in der Polizeiinspektion und wartete darauf, dass ich abgeholt würde. Die uniformierte junge Frau am Informationsschalter hatte Herrn Lüdke telefonisch ausgemacht, nachdem ich gesagt hatte, dass ich ihn im Fall Yasmine Abassian dringend sprechen müsste.
    Ich hatte mich auf eine kleine Sitzgruppe in einer Ecke der Eingangshalle zurückgezogen, wo ich durch ein künstlich aussehendes Gewirr von Grünpflanzen alles gut im Blick hatte. Viele

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