Nora Morgenroth: Die Gabe
das, was Sie mir erzählen konnten, um der Sache wirklich nachzugehen, zumal …“
„Zumal es sich um eine bekannte Persönlichkeit handelt, die man nicht mit solchen Nichtigkeiten behelligen kann.“
„Oh nein, das ist keine Nichtigkeit. Sagen Sie so etwas nicht. Uns blieb nur mangels anderer Hinweise nichts anderes übrig, als letztlich von einem tragischen Unglück auszugehen. So wie es aussieht, ist das die wahrscheinlichste Erklärung. Sie müssen auch verstehen, so wie sich Ihre Geschichte anhört, ich meine… dort wo Sie jetzt wohnen, ist ein schrecklicher Unfall passiert. Es ist nicht verwunderlich, wenn einen das beschäftigt, vielleicht bis in den Schlaf hinein. Und was den Mann angeht, den Sie genannt haben, nun, er ist ja in letzter Zeit häufig in den Zeitungen oder in den Talkshows zu sehen. Alle reden über die Wahl des Oberbürgermeisters. Es ist doch nicht ganz unwahrscheinlich, dass ein fremdes Gesicht sich einem irgendwie einprägt, ob man das will oder nicht, und wenn man dann lebhaft träumt ...“
„Herr Hauptkommissar, ich weiß genau, was Sie denken und ich nehme es Ihnen nicht übel. Machen Si e doch, was Sie wollen, ja? Übrigens sehe ich keine Talkshows.“
„Nein, aber …“
„Ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen Und jetzt würde ich gern gehen.“
Ich führte mich jetzt auf wie ein trotziges Kleinkind . Aber dass dieser Mann mir nun in den Mund legte, wie meine Träume zustande gekommen sein mochten, das wollte ich mir nicht länger anhören. Es wurde höchste Zeit, dass ich ging. Ich wandte mich ab und ging auf die Tür zu. Der Polizist nahm seine Akte und kam auf mich zu. Er legte eine Hand auf die Türklinke, dann hielt er inne.
„Frau Morgenroth, ich will sehen, was ich tun kann . Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen. Glauben Sie mir, niemand wäre glücklicher als ich, wenn wir endlich wüssten, was genau passiert ist. Falls es einen Schuldigen gibt, dann will ich den haben, ganz egal, wie er heißt. Aber auch ohne Ansehen der Person gibt es Grenzen, in welche Richtung wir ohne einen hinreichenden Verdacht ermitteln dürfen.“
Ich nickte . Wir verließen den Raum und der Hauptkommissar führte mich durch den Gang zurück in die Eingangshalle. Irgendwie gefiel mir der Mann, auch wenn er mich so verunsichert hatte.
„Würden Sie mir sagen, wenn Sie etwas herausgefunden haben, wegen … einem Mann in Yasmines Leben?“
Er zögerte.
„Das darf ich nicht. Aber es kann natürlich sein, dass ich Sie erneut befragen muss.“
„Gut, dann auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen, Frau Morgenroth, und danke für Ihre Mühe. Ich werde mich darum kümmern, aber wie gesagt, versprechen kann ich Ihnen nichts.“
Wir reichten uns die Hände, dann wandte ich mich um und durchquerte zügig die Halle. Am Eingang sah ich mich noch einmal um. Als sich die Fahrstuhltüren vor dem Kommissar schlossen, blickten wir uns quer durch den ganzen Raum in die Augen. Das Gefühl, das dieser letzte Blick in mir ausgelöst hatte, begleitete mich auf dem Weg durch die Stadt. Es war noch zu früh, um schon zur Arbeit zu gehen, denn ich wurde erst gegen zwölf im Buchladen erwartet. Monika hatte sich krank gemeldet und die Chefin war auf irgendeiner Buchmesse unterwegs. Weil am Nachmittag erfahrungsgemäß mehr zu tun war als am Morgen, sollte ich ab mittags mit Franka zusammen arbeiten.
Ich hatte keine Lust, wieder nach Hause zu fahren. Also beschloss ich, mir ein paar nette Stunden in der Altstadt zu machen. Ich war schon lange nicht mehr einfach nur so durch die Geschäfte gebummelt. An einem Kiosk kaufte ich zwei Illustrierte und setzte mich in den Coffee-Shop am Marktplatz. Fast alle Tische waren besetzt. Ich wunderte mich darüber, wie viele Menschen an einem normalen Montagmorgen Zeit dafür hatten.
Ich bestellte einen Latte Macchiato und fand Platz an dem einzigen Zweiertisch, der noch frei war. Nachdem ich meine Tasche unter dem Tisch verstaut hatte, schlug ich eine der Zeitschriften auf. An diesem Morgen kam mir die anspruchslose Lektüre gerade recht. Viele bunte Bilder von Prominenten, wenig Text, auf etwas Schwierigeres hätte ich mich ohnehin nicht konzentrieren können. In meinen Gedanken war ich noch zur Hälfte bei Kriminalhauptkommissar Lüdke und unserem Gespräch.
Ich überflog zerstreut die ersten Seiten, wollte gerade weiter blättern und den Bericht über die Hochzeit eines bekannten Volksmusikerpaares überfliegen, da stockte mir der Atem. Im selben
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