Nora Morgenroth: Die Gabe
von meinem kläglichen Versuch, die Aufmerksamkeit der Polizei auf Stadtrat John van der Brelie zu lenken. Ich reichte Franka das Handy mit den Fotos, die ich heimlich aus Yasmines Akte gemacht hatte. Dann berichtete ich noch von der Lesung bei Hummel und landete schließlich bei dem heute Abend. Der Überfall, dem ich nur durch einen glücklichen Zufall einigermaßen unbeschadet entkommen war. Er, der Mann, der Angreifer, hatte seine Tat nicht vollstrecken können. Und ich zweifelte nicht daran, was er vorgehabt hatte. Das hatte mehr bewirken sollen, als mir nur einen Schrecken einzujagen. Wenn das Auto nicht gekommen wäre, die Leute … Ich trank schnell noch einen Tequila. Merkwürdigerweise wurde ich in dieser Nacht nicht betrunken, obwohl wir einige Gläser leerten.
Kein einziges Mal runzelte Franka ungläubig die Stirn oder ließ sonst irgendwie erkennen, dass mein Bericht sie erstaunte oder schockierte. Ich las weder Unglauben noch Skepsis in ihren Augen. Am Ende war ich so erschöpft und ausgelaugt, dass mein Kopf fast von allein auf die Tischplatte gesunken wäre. Franka half mir auf und bugsierte mich in ihr Bett. Sie deckte mich mit mehreren Decken zu . Ich schlotterte und fror, als hätte ich hohes Fieber. Der Schock über den Angriff schien erst jetzt endgültig in meinem Körper angekommen zu sein. Da schlüpfte Franka unter die Decken. Sie legte ihre Arme um mich und während sie ihren warmen Körper an meinen presste, wurde ich ruhiger und schlief ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich allein. Dafür fand ich auf dem Küchentischeinen Zettel : Muss in den Laden. Ich weiß jetzt, wie wir den Arsch drankriegen. Du kannst hier bleiben, sonst heute Abend um acht, bring dein Handy mit. F.
Ich ließ mich auf einen der Küchenstühle sinken.
Was konnte Franka, dieses liebe, aber etwas chaotische und verrückte Huhn, für eine Lösung gefunden haben, auf die ich selbst nicht gekommen war? Es wäre zu schön, um … Nein, besser freute ich mich nicht zu früh. Ich musste einfach abwarten. In der Zwischenzeit konnte ich mich dafür revanchieren, dass Franka in der vergangenen Nacht genau das Richtige getan hatte. Sie war einfach für mich da gewesen, hatte nichts in Frage gestellt, nicht einmal die Entscheidung, keine Anzeige zu erstatten. Was hätte das auch nützen sollen? Ich wusste einfach, dass der Angriff von John van der Brelie kam, auch wenn der Stadtrat sich nicht die Finger selbst beschmutzt hatte. Mir war nur nicht ganz klar, wie sie mich ausfindig gemacht hatten. Dann fiel der Groschen: Der Mann hatte eins und eins zusammengezählt, nachdem erst der Hauptkommissar ihn aufgesucht hatte und ich dann bei der Lesung aufgetaucht war. Entweder war ich verfolgt worden oder er hatte schlicht geraten und mich in seinem ehemaligen Liebesnest ausfindig gemacht. Und schon hatten sie mich. Nur konnte ich leider auch dies nicht beweisen, wie alles andere. Folglich konnte ich mir den Gang zur Polizei sparen.
Doch es war nun einmal passiert und die Warnung war eindeutig gewesen. Nun musste ich handeln und zwar schnell, ehe sie zurückkommen würden. Ich dachte nicht im Traum daran, ihn jetzt vom Haken zu lassen, zumal ich nicht sicher sein konnte, dass die Sache dann für mich ausgestanden gewesen wäre.
Was sollte ich als nächstes tun? Ich wusste es nicht. Zu viele Gedanken stürmten gleichzeitig auf mich ein. Auch wenn ich mich besser fühlte als in der Nacht, war ich ruhelos und angespannt. Ich spürte, dass etwas passieren würde, wenn ich auch noch keine Ahnung hatte, was das sein würde.
Um der Nervosität Herr zu werden , beschloss ich, mich erst einmal körperlich zu betätigen. Das war immer gut. Ich suchte dort, wo alle Leute ihre Putzsachen aufbewahren und wurde fündig: unter der Spüle. Keine Überraschung, nicht einmal bei Franka. Allerdings war, wenn man sich genauer umsah, offensichtlich, dass sie mehr Wert darauf legte, auszugehen oder sonst etwas zu tun: ausschlafen, herum gammeln, das richtige Outfit und die nächste Party. Das war bei mir in dem Alter nicht anders gewesen, obwohl es mir inzwischen so vorkam, als sei das ungefähr hundert Jahre her.
Mit dem Badezimmer fing ich an, ich fegte, saugte und wischte und arbeitete mich schließlich bis in die Küche vor. Dort erledigte ich noch Berge von Abwasch und es fehlte nicht viel, dass ich auch noch die Fenster geputzt hätte, aber das ließ ich dann doch bleiben. Es war genug. Ich hatte mich abreagiert, der Kopf war so
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