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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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gewiss ihre Vorstellungen. Wir würden darüber reden müssen, aber es war nicht zu übersehen, dass es noch zu früh war, um Hedda jetzt damit zu überfallen. Ich würde eben anders herausfinden müssen, was als nächstes zu tun war.
    Was war mit Marc überhaupt geschehen, wie war er gestorben? Ich konnte nicht fassen, dass Mutter den Tod ihres Schwiegersohnes nicht einmal erwähnt hatte. Nur konnte sie diesmal nicht weglaufen, das würde ich nicht zulassen. Mutter und ich, wir mussten uns jetzt um alles kümmern. Hedda war schwer verletzt und hatte obendrein noch ihren Mann verloren. Nur ich war glimpflich davon gekommen, aber irgendwie konnte ich mich nicht so richtig darüber freuen.
    „Kann ich irgendwas für dich tun? Brauchst du was?“
    „Nein. Ist schon gut, die sind nett hier. Wie geht es denn dir?“
    „ Mir ist ja nichts passiert. Die Rippen tun weh und ich bin noch ganz schön wackelig auf den Beinen. Aber es ist schon viel besser geworden. Du, wenn sie dich hier entlassen, dann kommst du erstmal mit zu mir, ja?“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Ach Nora, du musst dich erstmal um dein eigenes Leben kümmern. Außerdem weiß ich wirklich nicht, wie ich mit dem Gipsbein in den fünften Stock kommen soll, wenn bei euch dauernd der Aufzug kaputt ist. Lass mal, ich schaff das schon.“
    Sie hatte Recht. Meine neue Bleibe lag nicht gerade im allerbesten Viertel, aber sie war kurzfristig zu haben gewesen und bezahlbar. Zudem war ich zu dem Zeitpunkt, als ich den Mietvertrag unterschrieb, wohl nicht ganz bei Sinnen gewesen, immer noch über die Maßen verletzt und verwirrt. Daniel hatte mich nicht zum Auszug gedrängt, aber als es Herbst wurde und er immer häufiger bei seiner Virginia nächtigte, gab ich auf. Gegen das Baby, auf das er sich so unübersehbar freute, kam ich einfach nicht an. Dauernd flatterten mit der Post Kataloge von Babymärkten ins Haus, das konnte ich nicht mehr ertragen.
    Mein Appartement nannte sich großartig Loft, weil es sich in der obersten Etage eines Mehrfamilienhauses befand und über eine geräumige Dachterrasse verfügte, außerdem war alles frisch renoviert gewesen. Aber das Treppenhaus und der Aufzug, wenn er denn einmal funktionierte, was in den vergangenen vier Wochen nur unregelmäßig der Fall gewesen war, sprachen eine andere Sprache. Überall Graffiti und Nachbarn, die keinen besonders umgänglichen Eindruck machten. Ich hatte den Eindruck, dass jeder sich nur um sich selbst kümmerte. Mir war das recht. Schließlich war ich nicht eingezogen, um neue Freunde zu finden, sondern um möglichst schnell ein bezahlbares, eigenes Dach über dem Kopf zu haben.
    „Dann ziehe ich mit zu dir, für den Anfang wenigstens, du brauchst bestimmt Hilfe im Haushalt, jetzt wo …“
    Wir sahen uns an. Um Heddas Augen lagen tiefe Schatten. Vermutlich ahnte ich nicht einmal ansatzweise, wie sehr sie litt. Ich wusste einfach nicht, was ich ihr noch sagen sollte. Gab es überhaupt einen Trost?
    Mein Mann hatte sich nur für eine andere Frau entschieden, ihr Mann war tot. Einfach so, nicht mehr da , von einem Tag auf den anderen. Was auch immer zwischen den beiden gestanden hatte, Hedda konnte sich niemals wieder mit Marc versöhnen oder aussprechen. Es gab wohl kaum Worte, die diesem Umstand angemessen waren. Ich konnte ihr nur sagen, wie leid es mir tat – und helfen, wenn ich irgendwie konnte.
    „Hedda, du kannst dich doch unmöglich allein versorgen. Lass mich dir doch bitte helfen!“
    Plötzlich fühlte ich einen warmen Hauch, als stünde jemand hinter mir. Meine Nackenhaare kräuselten sich. Ich fuhr herum, aber dort war niemand.
    „Was ist?“, fragte Hedda.
    Ihre Stimme kam wie aus der Ferne. Das leise Rauschen, das für mich schon zu so einer Art Hintergrundgeräusch geworden war, war jetzt ganz nah. Es toste in meinen Ohren, als hielte man sich eine dieser großen Muscheln ans Ohr. Es war äußerst irritierend. Durch das Geräusch hindurch, lauter als die Stimme meiner Schwester, hörte ich jemanden rufen.
    Nora …
    … s ag ihr … ich bin immer bei ihr … alles meine Schuld …  Schulden … Schuld…
    Ein warmer Schauer lief von meinem Nacken in die Arme und von dort bis in die Fingerspitzen . Es war ein Gefühl von Taubheit, aber auch warm und irgendwie so leicht, als gehörten meine Arme und Hände nicht mehr zu mir. Es war höchst eigenartig, so etwas hatte ich noch nie empfunden. Zugleich blickte ich auf meinen merkwürdigen Zustand, als handelte es sich nicht um

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