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Noras großer Traum (German Edition)

Noras großer Traum (German Edition)

Titel: Noras großer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin Busch
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sie, dass das Leben dieser Eltern von jetzt an für immer zweigeteilt sein würde – in die wahrscheinlich unbekümmerte Zeit vor dem Tod ihres Sohnes und in die Zeit danach. Sie biss die Zähne zusammen. Ihr Blick fiel auf den Rückspiegel, in dem sie einen Teil von Toms versteinertem Gesicht sehen konnte, und sie schaute wieder nach draußen. Die Fahrt kam ihr endlos vor.
    Toms Hände hielten das Steuer, und er versuchte sich ausschließlich auf die Straße vor sich zu konzentrieren. Er war froh, dass Martin und Nora ebenfalls Schweigen vorzogen. Worüber hätte man jetzt auch sprechen sollen? Seine langen schlanken Finger schlossen sich so fest um das Lenkrad, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Niemals, wahrscheinlich solange er lebte, würde er sich daran gewöhnen können, den Kampf um ein Menschenleben zu verlieren.
    Als sie am Krankenhaus eintrafen, kam ihnen Lisa bereits entgegen, um Joanna zu ihren Eltern zu bringen. Das Mädchen sah verstört von Nora zu Lisa und wieder zu Nora. Diese ging in die Hocke, griff nach einer Hand des Kindes und sah ihm offen ins Gesicht.
    »Joanna, geh ruhig mit Lisa. Deine Eltern freuen sich bestimmt sehr, wenn sie dich sehen. Ich besuche dich morgen, okay?«
    Die Kleine nickte und ging mit Lisa, die einen Arm um ihre Schultern gelegt hatte. Nora sah ihr nach, und plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen. Sie presste eine Hand vor den Mund und versuchte krampfhaft, keinen Ton von sich zu geben. Tom hatte seinen Koffer aus dem Wagen gehoben und schlug gerade die Tür zu, als sein Blick auf Nora fiel. Doch Martin, der schnell um das Auto herumgegangen war, stand schon vor ihr, öffnete mit einer hilflosen Geste beide Arme und sah sie betroffen an.
    »Komm, Nora.«
    Leise weinend lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und versuchte sich wieder zu fassen. Tom biss die Zähne zusammen und nickte den beiden ernst zu.
    »Sie ruhen sich jetzt besser aus. Wir sehen uns dann morgen.« Er ging langsam zum Eingang. Er wusste, dass er so schnell keine Ruhe finden würde; also machte er sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer, um noch den Bericht zu schreiben und den Totenschein auszustellen.
    In seinem Büro ließ er den Koffer achtlos neben dem Schreibtisch fallen und trat ans Fenster. Die Dunkelheit hatte bereits eingesetzt, und er betrachtete die Lampen, die den Eingangsbereich der Klinik erhellten. Er spürte immer noch dieses Gefühl ohnmächtiger Wut in sich, das sich in ihm breit gemacht hatte, als er den Tod des Jungen hatte feststellen müssen.
    Er schloss die Augen und versuchte ruhiger zu atmen. Doch dann drehte er sich um, ging zum Schreibtisch und fegte mit einer schnellen Bewegung alle Papiere und Unterlagen, die sich darauf befanden, zu Boden und trat heftig gegen den Stuhl, der gleich darauf gegen die Wand krachte. Als Lisa mit einer Tasse Kaffee in der Tür erschien, stand er bereits wieder am Fenster und starrte schweigend hinaus. Wortlos stellte sie den Kaffee auf den Schreibtisch und sammelte die Papiere auf, um sie in einem Stapel auf den Tisch zurückzulegen. Leise ging sie zu Tom und öffnete auf ähnliche Weise ihre Arme, wie es Martin zuvor bei Nora getan hatte. Sie kannte Tom schon so lange. Sie wusste, dass er, obwohl er nicht gerne viele Worte machte, bei jedem Patienten, den er verlor, Qualen litt, ganz besonders, wenn es sich um ein Kind handelte. Auch wenn sie nie darüber gesprochen hatten, vermutete sie, dass der Grund dafür vor allem in seiner Zeit in Afrika lag. Außerdem erinnerte sie sich daran, wie sehr ihn vor Jahren der Tod seines zu früh geborenen Kindes getroffen hatte.
    Er ließ sich nun kurz in den Arm nehmen und sah sie dann mit einem Ausdruck von Wut und Verzweiflung an.
    »Ich werde mich nie daran gewöhnen, Lisa.«
    Sie strich ihm ruhig über die Schulter.
    »Ich weiß, Tom. Darum bist du auch ein so guter Arzt.«
    Als er mit einem höhnischen Nicken nur nach draußen sah, legte sie eine Hand auf seinen Arm.
    »Tom, ihr habt Stunden damit verbracht, die Familie zu finden. Und ihr hattet Erfolg. Die Eltern und das Mädchen sind gerettet worden. Niemand kann etwas dafür, dass der Junge von einer Schlange gebissen wurde. Am wenigsten ist es deine Schuld. Tom, du bist immer so hart mit dir selbst. Du hilfst doch, wo du kannst. Aber du bist Arzt und nicht Gott.« Sie ging langsam zur Tür, an der sie sich noch einmal umdrehte. »Komm schon, trink jetzt deinen Kaffee, der wird dir gut tun.«
    Er nickte ihr traurig zu. »Danke,

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