Noras großer Traum (German Edition)
Eintreffen vorgenommen hatte. Die Patientin machte inzwischen einen benommenen Eindruck und wurde auf der Trage, die Phil und Martin bereits geholt hatten, zum Flugzeug gebracht. Minuten später hob die Maschine, eine rote Staubwolke hinter sich aufwirbelnd, bereits wieder ab und nahm Kurs auf Cameron Downs. Nachdem der Fahrer des Roadtrains Tom einen Zettel mit seinen Personalien gegeben und sich entschuldigt hatte, bei der Suche leider nicht helfen zu können, zog auch er mit seinem riesigen Gefährt in einer weiteren Staubwolke davon.
Unschlüssig sah Martin von Nora zu Tom. »Und jetzt?«
Nora reckte entschlossen das Kinn.
»Ich suche jetzt nach diesen Kindern. Das habe ich schließlich versprochen.«
Tom hielt sie am Arm fest. »Moment mal, Sie marschieren nicht einfach los. Dann können wir Sie auch noch suchen. Wir dürfen uns nicht weit von hier wegbewegen, damit wir Sergeant Williams und seiner Suchmannschaft die Familie beschreiben können, wenn er mit seinen Leuten hier gleich ankommt.« Er schaute ernst von einem zum anderen.
»Außerdem würden wir womöglich Spuren verwischen, wenn wir jetzt einfach losliefen. Also lassen Sie uns erst einmal danach suchen. Vielleicht entdecken wir Hinweise darauf, in welche Richtung sie gegangen sind.«
Nora nickte nun.
»Mein Gott, ich kann es einfach nicht fassen, dass ein erwachsener Mann zwei kleine Kinder in den Busch mitschleppt, um Hilfe zu holen. Was denken sich diese Leute bloß? Dass um die nächste Ecke eine Shell-Tankstelle auf sie wartet?« Kopfschüttelnd wandte sich Tom dem Straßenrand zu, und Martin und Nora schauten genauso wie er auf den Boden, um im Staub mögliche Fußspuren der Vermissten zu finden. Es schien zunächst aussichtslos, da das Flugzeug und der Roadtrain den Seitenstreifen, den sie absuchten, völlig mit einer frischen Schicht Staub zugedeckt hatten. Als sie sich aber etwas weiter zwischen den Spinifexgräsern, den kleinen Büschen und dünnen Bäumen voranbewegten, entdeckten sie noch einige Fußspuren. Als die Suchmannschaft eintraf, gaben sie die Personenbeschreibungen weiter und konnten auch schon die Richtung zeigen, in die sich die Familie offenbar aufgemacht hatte. Der Sergeant teilte seine Leute in kleine Gruppen ein und wies ihnen Abschnitte des Suchgebiets zu. Da Nora und Martin die Gegend nicht kannten, aber unbedingt helfen wollten, sollten sie bei Tom bleiben, der schon öfter an Aktionen dieser Art teilgenommen hatte. Voller Hoffnung machte Nora sich mit auf die Suche. Tom hatte sich zuvor davon überzeugt, dass sie geeignetes Schuhwerk trugen, und ihnen erklärt, dass sie mit festen Schritten gehen sollten, da durch die Erschütterungen Schlangen und giftige Spinnen vertrieben würden. Nora hatte bei diesem Gedanken geschluckt, schließlich aber einfach an die verzweifelte Gina gedacht. Sie liefen und suchten Stunde um Stunde. Zum ersten Mal wurde Nora klar, dass die grenzenlose Weite, die sie an diesem Land so bewunderte, auch Schattenseiten barg, die weit über das Problem der Einsamkeit hinausgehen konnten. Müde lehnte sie sich an einen dünnen Baum und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die jede Gruppe mit auf den Weg bekommen hatte. Nachdem sie sie wieder zugeschraubt hatte, wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Temperatur war inzwischen angenehmer geworden, denn die Abendkühle hatte eingesetzt. Besorgt dachte Nora daran, dass in der Dämmerung die Suche sicher auf den nächsten Tag verschoben werden müsste. Tom und Martin drehten sich nach ihr um, und sie stolperte hinter ihnen her, als plötzlich Schüsse ertönten.
Aufgeregt wandte Tom sich der Richtung zu, aus der sie kamen. »Sie haben jemanden gefunden! Schnell, da entlang!«
Im Laufschritt legten sie den Weg quer durch den Busch zurück. Sergeant Williams kam ihnen entgegengerannt.
»Schnell, Doc! Der Junge ist von einer Schlange gebissen worden.«
Tom lief los und rief dem Beamten über die Schulter zu: »Hank, ich brauche meinen Koffer!«
»Der ist schon dort, Tom.«
Als sie an der kleinen Lichtung eintrafen, sahen sie den Mann auf den Knien liegen. Er war erschöpft und völlig außer Atem. Offensichtlich hatte er seinen Sohn über einen längeren Zeitraum getragen, denn in seinen Armen lag leblos ein kleiner blonder Junge. Noras Blick erfasste sofort das Mädchen, das mit großen, ängstlichen Augen seinen Vater beobachtete. Sie ging zu ihr, legte einen Arm um sie und führte sie ein paar Schritte beiseite.
Weitere Kostenlose Bücher