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Noras großer Traum (German Edition)

Noras großer Traum (German Edition)

Titel: Noras großer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin Busch
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Lisa.«
    Er zog sich den Stuhl aus der Ecke hervor und setzte sich an seinen Schreibtisch, um die bürokratischen Formalitäten hinter sich zu bringen.
    Lisa, die heute für den Nachtdienst eingeteilt war, hatte noch einmal nach der vom Unglück betroffenen Familie gesehen, die jedoch unter dem Einfluss von Medikamenten mittlerweile ruhig schlief. Sie seufzte leise, als sie wieder auf den Gang hinaustrat. Auf Grund ihrer langjährigen Erfahrung als Krankenschwester war sie sich sicher, dass in den nächsten Tagen noch massive Schwierigkeiten auf sie zukommen würden. Der Vater des Jungen war ohnehin schon nervlich und körperlich am Ende eingeliefert worden, und die Mutter war, nachdem sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte, nach einem Nervenzusammenbruch ebenfalls nicht mehr ansprechbar gewesen. Die größten Sorgen machte sich Lisa aber im Moment um das kleine Mädchen, das nun weder in der Mutter noch im Vater einen Halt finden konnte, obwohl es sicher auch sehr unter dem Verlust des Bruders litt. Lisa beschloss, sich nach ihrer spätabendlichen Patientenrunde einen Tee zu machen. Auf dem Weg zum Schwesternzimmer sah sie, dass in Toms Büro immer noch Licht brannte. Besorgt blieb sie einen Augenblick stehen, bevor sie leicht den Kopf schüttelte und das Schwesternzimmer betrat. Es ist wohl am besten, ihn in Ruhe zu lassen, dachte sie.
    Kurze Zeit später hatte sie eine dampfende Tasse Tee vor sich stehen und rührte nachdenklich die Milch darin um, während ihre Gedanken – ohne dass sie es eigentlich beabsichtigte – zu Tom abschweiften. Es machte sie immer wieder aufs Neue betroffen, mitansehen zu müssen, wie sehr er litt und sich schuldig fühlte, wenn er einen Patienten verlor. Sie dachte an die Abschiedsfeier, bevor er den Service verlassen hatte, um nach Äthiopien zu gehen. Nach dem Scheitern seiner Ehe schien er froh zu sein, die gewohnte Umgebung verlassen zu können. Auch hatte er noch Selbstbewusstsein und Hoffnung ausgestrahlt, in Afrika etwas bewegen und verbessern zu können. »Dort werde ich wirklich gebraucht, Lisa«, hatte er versucht ihr seine Beweggründe zu erklären. Nach wenigen kurzen Telefonaten war der Kontakt zu ihm abgebrochen. Immer wieder hatten Bill und sie sich bemüht, ihn zu erreichen, doch schien er dort auch mehrere Male den Standort gewechselt zu haben, so dass es ihnen nicht gelungen war, ihn in den Wirren des Bürgerkriegs in einem der Flüchtlingslager ausfindig zu machen.
    Nach über zwei Jahren hatten sie – direkt über die Hauptverwaltung des Hilfsdienstes – erfahren, dass ihr Freund nach Australien zurückgekehrt war. Zunächst grenzenlos enttäuscht, dass er sich nicht bei ihnen meldete, war ihre Enttäuschung später in große Sorge übergegangen, da er offensichtlich zu niemandem Kontakt aufnahm. Es musste wohl fast ein Jahr vergangen sein, als sie plötzlich einen Anruf von seiner Schwester aus Darwin erhielten, bei der er kurze Zeit zuvor überraschend aufgetaucht war. Ihren unbekümmert selbstbewussten großen Bruder von früher schien es jedoch nicht mehr zu geben. Aus Sorge wegen seines schlechten körperlichen und seelischen Zustands, aber auch, weil er jegliche Hilfe zurückwies, hatte sie sich entschlossen, seine alten Freunde von früher einzuschalten. Bill und Lisa waren kurze Zeit später nach Darwin geflogen. Lisa schauderte in der Erinnerung an ihre erste Begegnung mit dem Freund in Darwin. Bill und sie waren förmlich zusammengezuckt, als sie Tom mit seinem Neffen im Garten entdeckt hatten. Völlig abgemagert in zerschlissenen Jeans und einem Hemd, das viel zu groß schien, und aus dem seine Schulterblätter spitz hervorstanden, baute er mit dem etwa achtjährigen Sohn seiner Schwester an einer Hundehütte. Als er sich aufrichtete, konnten sie unter seinem Dreitagebart eingefallene Wangen und unnatürlich große, ernste Augen erkennen, aus denen die altvertraute ironische Fröhlichkeit gänzlich verschwunden zu sein schien. Ein wenig fassungslos hatten sie gemeinsam mit Toms Schwester Caroline am Fenster des Wohnzimmers gestanden und einen ersten Blick auf ihren alten Freund werfen können. Caroline schien ihr Erschrecken zu bemerken, denn sie lächelte sie auf seltsam ernste Weise an.
    »Sehen Sie, so wie Sie habe ich sicherlich auch ausgeschaut, als er hier auftauchte. Das Schlimme ist, dass er niemanden an sich heranlässt. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihm helfen könnte. Ich weiß nicht einmal, ob er nicht krank ist.« Traurig wanderten ihre

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