Nordermoor
verschwunden ist. Zwei Monate lang hatte ihn niemand gesehen, als seine Mutter sich mit uns in Verbindung setzte. Worauf willst du hinaus? Hat sich etwas Neues mit Bezug auf Grétar herausgestellt?«
»Nein«, sagte Erlendur. »Und ich fahnde auch nicht nach ihm. Falls er nicht plötzlich wieder aufgetaucht ist und seinen alten Kumpel Holberg im Nordermoor umgebracht hat, kann er meinetwegen auf ewig verschwunden bleiben. Ich versuche nur, mir darüber klar zu werden, was für ein Trio das eigentlich war, Holberg, Elliði und Grétar.«
»Das waren verkrachte Existenzen. Alle drei. Du kennst ja Elliði. Grétar war keinen Deut besser, allerdings wohl eine noch trübere Tasse als die anderen. Irgendwann hatte ich mal wegen eines Einbruchs mit ihm zu tun, und ich hatte den Eindruck, als wäre das der Anfang einer hübschen kleinkriminellen Karriere gewesen. Sie arbeiteten zusammen bei der Leuchtturm- und Hafenbehörde. Da haben sie sich kennen gelernt. Elliði war dumm und sadistisch veranlagt, geriet bei jeder Gelegenheit in Schlägereien. Schikanierte Unterlegene, Schwächere. Daran hat sich nichts geändert, soweit ich informiert bin. Holberg war noch der Intelligenteste von den dreien, und er war so etwas wie der Leithammel. Aus der Sache mit Kolbrún hat er sich glänzend herauslaviert. Als ich mich seinerzeit nach ihm erkundigte, bekam ich nur zögernde Antworten. Grétar war ein Armleuchter, der ihnen nachlief, er wirkte kleinmütig und feige, aber ich hatte das Gefühl, dass da hinter dieser Fassade womöglich noch etwas anderes steckte.«
»Kannten Rúnar und Holberg sich?«
»Ich glaube nicht.«
»Wir haben offiziell noch nichts darüber verlautbaren lassen«, sagte Erlendur, »aber wir haben eine Nachricht bei der Leiche gefunden.«
»Eine Nachricht?«
»Der Mörder schrieb
Ich bin er auf ein Blatt und legte es auf Holberg.«
»Ich bin er?«
»Deutet das nicht auf Verwandtschaft hin?«
»Oder auf einen Messiaskomplex. Ein übergeschnappter Gottesmann.«
»Ich würde es eher mit Verwandtschaft verbinden.«
»Ich bin er? Was will der Mann damit sagen? Was besagt diese Nachricht?«
»Ich wünschte, ich wüsste es.«
Er stand auf und setzte den Hut auf und erklärte, dass er nach Hause müsse. Marian fragte, wie es mit Eva Lind stünde, und Erlendur antwortete, dass sie sich mit ihren Problemen herumschlüge. Marian begleitete ihn zur Tür und öffnete sie für ihn. Ein fester Händedruck in der Tür. Als Erlendur die Treppe hinunterging, rief Marian ihm nach: »Erlendur! Warte einen Augenblick, Erlendur.«
Erlendur drehte sich um, und als er hochschaute, sah er Marian Briem in der Tür stehen. Die würdevolle Erscheinung war vom Alter gezeichnet, die gebeugten Schultern und das faltige Gesicht zeugten von einem nicht einfachen Leben. Es war lange her, seit er in dieses Haus gekommen war, und er hatte, als er Marian im Sessel gegenübersaß, darüber nachgedacht, wie die Zeit den Menschen mitspielt.
»Lass dir das, was du über Holberg in Erfahrung bringst, nicht zu nahe gehen«, sagte Marian Briem. »Lass ihn nicht etwas in dir kaputtmachen, was du heil behalten willst. Lass ihn nicht die Oberhand behalten. Das war’s.«
Erlendur stand draußen im Regen und wusste nicht so recht, was dieser Rat sollte. Marian Briem nickte ihm zu.
»Was für ein Einbruch war das?«, rief Erlendur, bevor die Tür ins Schloss fiel.
»Einbruch?«, fragte Marian, und die Tür ging wieder auf.
»Den Grétar verübt hat. Wo ist er eingebrochen?«
»In einem Fotogeschäft. Fotografieren war so ein Tick von ihm«, sagte Marian Briem. »Er fotografierte.«
Zwei Männer, beide in Lederjacken und schwarzen, ledernen Schnürstiefeln bis an die Waden, klopften an der Tür und störten Erlendur, als er später am Abend zu Hause bei sich im Sessel saß und vor sich hin gähnte. Er war nach Hause gekommen, hatte nach Eva Lind gerufen, aber keine Antwort bekommen, und sich auf die Hähnchenschenkel gesetzt, die im Stuhl gelegen hatten, seitdem er in der vorigen Nacht darauf geschlafen hatte. Die beiden Typen fragten nach Eva Lind. Erlendur hatte sie nie zuvor gesehen, und seine Tochter hatte er nicht gesehen, seit sie ihm die köstliche Fleischsuppe gekocht hatte. Sie sahen ausgesprochen brutal aus, als sie fragten, wo sie sie finden könnten. Sie versuchten, in die Wohnung hineinzuschauen, ohne sich direkt an ihm vorbeizudrängen. Erlendur fragte, was sie von seiner Tochter wollten. Sie nannten ihn einen alten, geilen
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