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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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dessen Gesicht angeschwollen und blutig war. Er schaute für einen Moment auf seinen Kumpel, der auf dem Boden lag und vor Schmerzen brüllte, dann wieder auf Erlendur und beschloss, das Weite zu suchen. Er war kaum älter als zwanzig.
    Erlendur bestellte einen Krankenwagen, und während sie darauf warteten, bekam er zu wissen, was sie von Eva Lind wollten. Der Mann wollte zuerst nicht mit der Sprache heraus, aber als Erlendur ihm anbot, sich das Knie anzuschauen, wurde er etwas gesprächiger. Sie waren Geldeintreiber. Eva Lind schuldete einem Mann, von dem Erlendur nie gehört hatte, sowohl Geld als auch Dope.
    Als Erlendur am nächsten Tag ins Büro ging, erklärte er niemandem, was es mit dem Pflaster auf sich hatte, und es gab niemanden, der gewagt hätte, ihn zu fragen. Die Tür hatte ihn beinahe k.o. geschlagen, als sie vom Knie des Eintreibers zurück und gegen seine Stirn prallte. Die Stirn schmerzte heftig, und er machte sich solche Sorgen wegen Eva Lind, dass er kaum Schlaf finden konnte, stundenweise im Sessel einschlummerte und hoffte, dass seine Tochter zurückkäme, bevor es zu spät war. Er blieb gerade lange genug, um zu erfahren, dass Grétar eine Schwester gehabt hatte und dass seine Mutter noch am Leben war, die im Altersheim Grund lebte.
    Wie er Marian Briem gesagt hatte, war er nicht unbedingt auf der Suche nach Grétar, genauso wenig wie nach dem verschwundenen Mädchen aus Garðabær, aber er war der Meinung, dass es nichts schaden könne, mehr über ihn zu wissen. Grétar war mit von der Partie gewesen in der Nacht, als Kolbrún vergewaltigt wurde. Vielleicht hatte er irgendwem etwas über diesen Abend erzählt, irgendein kleines Detail, das er weitergegeben hatte. Er rechnete nicht damit, etwas Neues über das Verschwinden herauszufinden, Grétar konnte seinetwegen dort, wo er lag, in Frieden ruhen; Erlendur hatte aber schon seit langem ein besonderes Interesse für das spurlose Verschwinden von Menschen in Island. Hinter jedem einzelnen Fall steckte wahrscheinlich nicht nur eine Horrorgeschichte, sondern seiner Meinung nach waren solche Menschen, die der Erdboden verschluckte, ohne dass irgendjemand zu wissen schien, warum, merkwürdig faszinierend.
    Grétars Mutter war neunzig und blind. Erlendur sprach kurz mit der Leiterin des Altersheims, die ihre Blicke kaum von seiner Stirn lösen konnte, und er bekam zu wissen, dass Theodora zu den ältesten Heimbewohnern gehörte. Sie lebte mit am längsten in diesem Heim, eine in jeder Hinsicht vorbildliche Frau, geliebt und bewundert von den Angestellten und anderen Heimbewohnern.
    Erlendur wurde zu Theodora begleitet und ihr vorgestellt. Die alte Frau saß in einem Rollstuhl auf ihrem Zimmer. Sie trug einen Morgenmantel, und man hatte ihr eine Wolldecke über die Knie gebreitet. Das lange graue Haar war in einem großen Zopf geflochten, der über die Rückenlehne herunterhing, der Körper eingefallen, die Hände knochig. Ein friedliches Gesicht. Nur wenige persönliche Gegenstände. Ein Bild von John F. Kennedy hing in einem Rahmen über ihrem Bett. Erlendur setzte sich auf einen Stuhl vor ihr, blickte in Augen, die nicht mehr sehen konnten, und sagte, er wolle über Grétar reden. Das Gehör schien noch gut zu funktionieren, und sie war ganz klar im Kopf. Sie zeigte keinerlei Anzeichen von Verwunderung, sondern kam gleich zur Sache, so wie sie es wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang getan hatte. Sie sprach mit auffälligem nordisländischem Akzent.
    »Mein Grétar war kein vorbildlicher Junge«, sagte sie. »Wenn ich die Wahrheit sagen soll, dann war er ein richtiger Jammerlappen. Ich weiß nicht, woher er das hatte. Er hat gestohlen, und auch sonst war er sich für nichts zu schade. Trieb sich mit anderem Gesindel und Gesocks herum. Habt ihr ihn etwa gefunden?«
    »Nein«, sagte Erlendur. »Einer seiner Freunde wurde neulich ermordet. Holberg. Du hast vielleicht davon gehört.«
    »Den kenne ich nicht. Hast du gesagt, dass er abgemurkst wurde?«
    Erlendur griente, zum ersten Mal seit langem sah er einen Grund zu lächeln.
    »In seiner Wohnung. Sie haben früher zusammen gearbeitet, er und dein Sohn. Bei der Leuchtturm- und Hafenbehörde.«
    »Das Letzte, was ich von meinem Grétar gesehen habe, und da konnte ich noch hervorragend sehen, das war, als er in dem Sommer zu mir nach Hause kam, als diese Jubiläumsfeier war, und da hat er mir Geld gestohlen, das ich im Portemonnaie hatte, und etwas Silber. Erst als er schon wieder weg war, habe ich

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