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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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geschenkt hatte. Eine ganze Woche hatte er zu dem Kauf benötigt, hatte in der ganzen Stadt Erkundigungen eingezogen und mit Uhrmachern über Arten, Vergoldung, Uhrwerke, Armbänder, Wasserdichte, Schweizer Uhren und Kuckucksuhren diskutiert. Er hatte seine gesamten Fähigkeiten als Kriminalbeamter eingesetzt, um die richtige Armbanduhr zu finden, hatte sie schließlich gefunden, und sie war total begeistert gewesen, und ihre Freude war ohne Falsch.
    Und dann saß er ihr gegenüber mit einem gefrorenen Lächeln im Gesicht, versuchte zu strahlen, aber das gelang ihm ums Verrecken nicht.
    »Psychologie!«, knurrte Sigurður Óli.
    Er klingelte an der Wohnungstür und brachte die Frage mit so viel psychologischer Tiefe hervor, wie er konnte, aber das ging völlig daneben. Bevor er sich’s versah, hatte er die Frau da auf dem Treppenabsatz lässig gefragt, ob sie vielleicht irgendwann mal vergewaltigt worden sei.
    »Das ist ja wirklich eine Zumutung«, sagte die Frau, die stark geschminkt war. Sie trug Modeschmuck an den Fingern, der Gesichtsausdruck war verbissen, und es gab keine Anzeichen dafür, dass er sich lockern wollte. »Wer bist du eigentlich? Was ist das für eine bodenlose Unverschämtheit?«
    »Verzeihung«, ächzte Sigurður Óli und sprang die Treppe wieder hinunter.
    Elinborg erging es besser, denn sie war mit ihren Gedanken bei der Arbeit und hatte keine Probleme, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Ihr Spezialgebiet war Kochen, und da sie eine leidenschaftliche und gute Köchin war, hatte sie keine Probleme, Gesprächsthemen zu finden. Im Zweifelsfalle fragte sie danach, was für göttliche Essensdüfte aus den Wohnungen kamen, und meistens gingen die Leute ganz begeistert darauf ein, selbst wenn sie bereits seit einer Woche ausschließlich von Popcorn gelebt hatten.
    Sie saß jetzt im Wohnzimmer einer Souterrainwohnung in Breið holt und ließ sich von einer älteren Frau aus Húsavík Kaffee einschenken. Sie war Mutter von zwei erwachsenen Kindern und seit vielen Jahren Witwe. Ihr Name war Sigurlaug, und sie war der letzte Name auf Elinborgs Liste. Sie hatte es nicht schwierig gefunden, die heikle Frage vorzubringen, und anschließend bat sie ihre Gesprächspartnerinnen, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, falls ihnen etwas zu Ohren käme, auch wenn es nur Klatschgeschichten aus Húsavík seien.
    »… und deswegen suchen wir nach einer Frau aus Húsavík in deinem Alter, die Holberg vielleicht damals gekannt hat und sogar in Schwierigkeiten mit ihm gelandet sein könnte.«
    »Ich kann mich an keinen Mann in Húsavík erinnern, der Holberg hieß«, sagte die Frau. »Was meinst du mit Schwierigkeiten?«
    »Holberg war nur vorübergehend in Húsavík«, sagte Elinborg, »deswegen kann es gut sein, dass du dich nicht an ihn erinnerst. Er hat niemals dort gewohnt. Und das war ein Fall von Misshandlung. Wir wissen, dass er vor Jahrzehnten eine Frau attackiert hat, und wir versuchen, sie jetzt zu finden.«
    »Das muss doch in euren Berichten stehen.«
    »Der Überfall wurde nie angezeigt.«
    »Was für ein Überfall?«
    »Vergewaltigung.«
    Die Frau hielt sich unwillkürlich die Hand vor den Mund, und die Augen wurden doppelt so groß.
    »Mein Gott!«, sagte sie. »Darüber weiß ich gar nichts. Vergewaltigung! Du lieber Himmel! Davon hab ich nie was gehört.«
    »Nein, das ist wohl alles geheim gehalten worden«, sagte Elinborg. Sie entwand sich geschickt den aufdringlichen Fragen der Frau, die alles detailliert wissen wollte, erklärte, dass die Sache im Ermittlungsstadium sei und bisher sowieso nur auf Gerüchten fuße. »Ich überlege gerade«, sagte sie dann, »ob du möglicherweise irgendwen kennst, der mehr über die Sache wissen könnte.« Die Frau gab ihr die Namen von zwei Freundinnen aus Húsavík, denen angeblich nie etwas entging. Elinborg schrieb die Namen auf, blieb dann noch eine Weile, um nicht unhöflich zu sein, und verabschiedete sich dann.
    Erlendur hatte eine Platzwunde an der Stirn, die er selbst verarztet hatte. Der eine der abendlichen Gäste lag kampfunfähig da, nachdem Erlendur ihm die Tür ans Knie gedonnert hatte, sodass er wimmernd zu Boden ging. Der andere starrte fassungslos auf die Szene, und ehe er sich’s versah, war Erlendur bei ihm und stieß ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, rückwärts die Treppe hinunter. Er konnte das Geländer zu fassen bekommen und damit verhindern, dass er auf der Treppe landete. Er fand es wohl nicht ratsam, sich mit Erlendur einzulassen,

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