Nordermoor
Finsternis.
»Ich bin überzeugt, dass Holberg der Vater von Auður war«, sagte Erlendur. »Ich habe faktisch nicht den geringsten Grund, deine Worte und das, was du von deiner Schwester gesagt hast, anzuzweifeln. Aber wir brauchen eine Bestätigung dafür. Das ist in einer polizeilichen Ermittlung unabdingbar. Falls es sich um eine Krankheit handelt, die Auður von Holberg geerbt hat, könnte sie auch woanders auftauchen. Es ist denkbar, dass diese Krankheit mit dem Mord an Holberg in Verbindung steht.«
Sie nahmen das Auto nicht wahr, das sich auf einem alten Weg langsam von der Kirche entfernte, denn es hatte keine Scheinwerfer eingeschaltet und war in der Dunkelheit schwer auszumachen. Als es in den Ort kam, wurde das Tempo beschleunigt, die Scheinwerfer gingen an, und bald hatte es den Lieferwagen mit dem Sarg erreicht. Auf der Straße nach Reykjavík achtete der Fahrer darauf, zwei oder manchmal drei Autos zwischen sich und dem Lieferwagen zu haben. Auf diese Weise folgte er dem Sarg nach Reykjavík.
Als der Lieferwagen vor dem Leichenschauhaus am Barónsstígur hielt, parkte er das Auto in einiger Entfernung und beobachtete, wie der Sarg hineingetragen wurde und sich die Türen hinter ihm schlo ssen. Er sah, wie der Lieferwagen abfuhr und die Frau, die den Sarg begleitet hatte, aus dem Haus kam und in ein Taxi stieg.
Als alles wieder ruhig war, fuhr er langsam davon.
Kapitel 19
M arian Briem nahm ihn an der Tür in Empfang. Erlendur hatte sich nicht angemeldet. Er kam direkt aus Sandgerði und beschloss, mit Marian zu reden, bevor er nach Hause fuhr. Es war sechs Uhr, und draußen war es stockfinster. Marian bat Erlendur herein und entschuldigte sich wegen der Unordnung. Es war eine kleine Wohnung, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad und Küche, und sie zeugte von der Nachlässigkeit des Besitzers, ganz ähnlich wie bei Erlendur. Zeitungen, Zeitschriften und Bücher lagen im Wohnzimmer verstreut, der Teppichboden war unansehnlich und abgenutzt, beim Spülbecken in der Küche stapelte sich das Geschirr. Der schwache Schein einer Tischlampe erhellte das Dunkel des Wohnzimmers. Marian sagte Erlendur, er solle die Zeitungen im Sessel einfach auf den Boden werfen und sich setzen.
»Du hast mir nicht gesagt, dass du damals mit der Sache zu tun hattest«, sagte Erlendur.
»Das war keine Glanzleistung von mir«, sagte Marian und zündete sich einen Zigarillo an; kleine, zierliche Hände, schmerzlicher Gesichtsausdruck; der Kopf war groß, aber der Körperbau ansonsten eher zart. Erlendur wusste, dass Marian immer noch die interessanten Sachen genau mitverfolgte, sich Informationen von früheren Kollegen verschaffte, die noch bei der Polizei waren, und im Zweifelsfalle sogar etwas zu den Ermittlungen beisteuerte.
»Du willst mehr über Holberg erfahren«, sagte Marian.
»Und seine Freunde«, sagte Erlendur und setzte sich, nachdem er den Zeitungsstapel zur Seite geschoben hatte.
»Und über Rúnar in Keflavík.«
»Ja, Rúnar in Keflavík«, sagte Marian. »Der hat mich schon mal umbringen wollen.«
»Wäre heute kaum noch dazu im Stande, der alte Tattergreis«, sagte Erlendur.
»Du hast ihn also getroffen«, sagte Marian. »Er hat Krebs, wusstest du das? Eher eine Frage von Wochen denn von Monaten.«
»Wusste ich nicht«, sagte Erlendur und sah im Geiste Rúnar’s mageres und knochiges Gesicht vor sich. Die triefende Nase, als er im Garten Laub zusammenrechte.
»Er kannte unglaublich einflussreiche Leute im Ministerium. Deswegen konnte er sich so halten. Ich hatte empfohlen, ihn zu suspendieren. Er erhielt nur eine Abmahnung.«
»Kannst du dich an Kolbrún erinnern?«
»Das bedauernswerteste Opfer, das ich je in meinem Leben gesehen habe«, sagte Marian. »Ich habe sie nie näher kennen gelernt, aber ich wusste, dass sie nicht in der Lage war, irgendwelche Lügen aufzutischen. Sie sagte gegen Holberg aus und berichtete, wie sie von Rúnar behandelt worden war, und darüber weißt du Bescheid. In der Angelegenheit mit Rúnar stand Aussage gegen Aussage, aber ihre Aussage war glaubwürdig. Er hätte sie nicht nach Hause schicken dürfen, egal, was es mit dem Schlüpfer auf sich hatte. Holberg hat sie vergewaltigt, das lag offen zu Tage. Ich habe Holberg und Kolbrún einander gegenübergestellt. Da konnte überhaupt kein Zweifel bestehen.«
»Sie einander gegenübergestellt?«
»Das war ein Fehler. Ich dachte, es würde uns weiterhelfen. Die arme Frau.«
»Inwiefern?«
»Ich versuchte, es wie zufällig
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