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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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bemerkt, dass das Geld verschwunden war. Und dann verschwand Grétar selber. Als ob er gestohlen worden wäre. Weißt du, wer ihn gestohlen hat?«
    »Nein«, sagte Erlendur. »Hast du eine Ahnung, was er gemacht hat, bevor er verschwunden ist? Mit wem er Umgang hatte?«
    »Keine Ahnung«, sagte die alte Frau. »Ich wusste nie, was Grétar so trieb. Das habe ich euch damals auch gesagt.«
    »Wusstest du, dass er fotografierte?«
    »Ja, er machte Fotos. Er hat immer fotografiert. Ich weiß nicht, wozu. Er sagte mir, Fotos seien Spiegel ihrer Zeit, und ich hatte keine Ahnung, wovon er redete.«
    »War das nicht ein bisschen hochgestochen für Grétar?«
    »So habe ich ihn sonst nie reden hören.«
    »Seine letzte Adresse war in der Bergstaðastræti, wo er ein Zimmer gemietet hatte. Was wurde aus seinen Sachen, der Kamera, den Filmen, weißt du das?«
    »Das weiß vielleicht meine Klara«, sagte Theodora. »Meine Tochter. Sie hat sein Zimmer ausgeräumt. Hat den ganzen Kram weggeschmissen, glaube ich.«
    Erlendur stand auf, und sie folgte seinen Bewegungen mit dem Kopf. Er dankte ihr für die Hilfe, sagte, dass das sehr wichtig gewesen sei. Dann wollte er sie loben und ihr sagen, wie rüstig sie sei und wie klar im Kopf, ließ es aber bleiben, weil er mit ihr nicht wie mit einem Kind reden wollte. Er schaute an der Wand entlang bis zum Bild von Kennedy und konnte die Frage nicht zurückhalten.
    »Weswegen hast du ein Bild von Kennedy über deinem Bett?«, fragte er und blickte in leere Augen.
    »Ach«, seufzte Theodora, »ich habe viel von ihm gehalten, solange er lebte.«

Kapitel 21
    D ie Leichen lagen Seite an Seite auf den kalten Seziertischen im Leichenschauhaus am Barónsstígur. Erlendur versuchte, nicht daran zu denken, wie er Vater und Tochter im Tod vereint hatte. Der Rumpf von Holberg war bereits obduziert und untersucht worden, sollte aber noch auf weitere Symptome untersucht werden, die sich auf die Erbkrankheit und die Verwandtschaft mit Auður konzentrieren würden. Erlendur bemerkte, dass seine Finger schwarz waren. Man hatte auch Fingerabdrücke von dem Toten genommen. Die Leiche von Auður lag eingewickelt in weißes Leinentuch auf dem Tisch neben Holberg. Sie war noch nicht angerührt worden.
    Erlendur kannte den Gerichtsmediziner nicht, und er konnte auch nur wenig von ihm sehen. Er war groß, die kräftigen Hände steckten in dünnen Kunststoffhandschuhen. Er trug einen grünen Kittel, der hinten zugeknöpft war, und grüne Hosen aus demselben Stoff, und darüber eine weiße Schürze. Er hatte einen Mundschutz und eine blaue Plastikhaube auf dem Kopf. Die Füße steckten in weißen Turnschuhen.
    Erlendur war schon oft im Leichenschauhaus gewesen, und jedes Mal ging es ihm gleich schlecht. Der Geruch des Todes erfüllte seine Sinne und setzte sich in der Kleidung fest, der Geruch von Formalin und Desinfektionsmitteln und der entsetzliche Gestank von Leichen, die geöffnet worden waren. Starke Neonleuchten hingen von der Decke und warfen grelle Helligkeit in den fensterlosen Raum. Große weiße Fliesen waren auf dem Fußboden, und die Wände waren zur Hälfte gefliest, der obere Teil mit weißer Ölfarbe gestrichen. An den Wänden standen Tische mit Mikroskopen und anderen Gerätschaften, und darüber hingen Schränke, einige mit Glastüren, durch die man Gefäße und Gläser erkennen konnte, die Erlendur mit nichts in Verbindung bringen konnte. Hingegen verstand er den Zweck der Messer, Zangen und Sägen, die ordentlich aufgereiht auf einem langen Arbeitstisch lagen.
    Erlendur bemerkte eine Duftplakette, die von eine r Neonleuchte über dem einen Seziertisch herabbaumelte. Sie zeigte ein Mädchen im Bikini, das an einem hellen Strand entlanglief. Ein Kassettenrecorder stand auf einem Tisch, mit einigen Kassetten daneben, und aus dem Gerät erklang klassische Musik. Erlendur tippte auf Mahler. Ein Tablett mit Essen für den Arzt stand auf einem Tisch neben einem Mikroskop.
    »Sie gibt schon lange keinen Geruch mehr ab, das Mädchen, aber ihr Körper ist noch in guter Verfassung«, sagte der Arzt und schaute zu Erlendur hinüber, der an der Tür stehen geblieben war, als ob er zögerte, in das erleuchtete Zimmer des Todes und der Verwesung einzutreten.
    »Was?«, sagte Erlendur und konnte seine Augen nicht von dem weißen Bündel abwenden. Die Stimme des Arztes hatte einen amüsierten Unterton, den er nicht verstand.
    »Ich meine das Bikinimädchen«, sagte der Arzt und nickte in Richtung der

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