Nordermoor
Duftplakette. »Ich muss mir eine neue zulegen. Wahrscheinlich gewöhnt man sich nie an den Geruch. Komm herein. Keine Angst. Es sind nur fleischliche Überreste.« Er schlenkerte ein Messer über Holbergs Bauch. »Keine Seele, kein Leben, nur eine sterbliche Hülle. Glaubst du an Wiedergänger?«
»Was?«, sagte Erlendur wieder.
»Glaubst du, dass ihre Seelen alles mitverfolgen? Glaubst du, dass sie hier irgendwo herumschweben, oder glaubst du, dass sie sich in einem anderen Körper reinkarniert haben? Wiedergeboren worden sind. Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«
»Nein, das tue ich nicht«, sagte Erlendur.
»Der Mann hier starb nach einem schweren Schlag auf den Kopf, der die Kopfhaut durchbohrte, die Schädeldecke durchschlug und bis ins Hirn vordrang. Es hat den Anschein, als habe der Mann, der ihm den Hieb versetzte, ihm gegenübergestanden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie einander angeschaut haben. Der Angreifer ist wahrscheinlich Rechtshänder, die Wunde ist an der linken Seite. Und er ist körperlich fit, ein junger Mann oder vielleicht auch etwas älter, aber wohl kaum eine Frau, es sei denn, sie verrichtet schwere körperliche Arbeit. Der Hieb hat wahrscheinlich den Tod sofort herbeigeführt. Er hat den Weg gesehen und das helle Licht am Ende des Wegs.«
»Es ist viel wahrscheinlicher, dass er in die andere Richtung gegangen ist«, sagte Erlendur.
»Ach so. Der Magen ist leer, es gibt Reste von Kaffee und einem Ei, der Darm ist gefüllt. Er litt, falls das nicht übertrieben ausgedrückt ist, an Darmträgheit. Nicht selten in diesem Alter. Niemand hat Anspruch auf diese Leiche erhoben, und deswegen haben wir darum ersucht, dass wir ihn zu Unterrichtszwecken verwenden dürfen. Was sagst du dazu?«
»Er bringt als Toter wahrscheinlich mehr Nutzen als im Leben.«
Der Arzt blickte Erlendur an, ging zu einem Tisch hin und nahm ein rotes Fleischstück von einem Stahltablett und hielt es mit der einen Hand hoch.
»Ich kann nicht sehen, ob die Menschen gut oder schlecht gewesen sind«, sagte er. »Das könnte genauso gut das Herz eines Heiligen sein. Was wir in Erfahrung bringen müssen, ist, wenn ich dich richtig verstehe, ob dieses Herz krankes Blut gepumpt hat.«
Erlendur schaute verblüfft auf den Arzt, der das Herz von Holberg hochhielt und betrachtete. Schaute zu, wie er mit dem toten Muskel hantierte, als ob nichts auf der Welt selbstverständlicher sei.
»Ein starkes Herz«, fuhr der Arzt fort. »Das hätte noch viele Jahre schlagen können, hätte seinen Besitzer hundert Jahre alt werden lassen können. Dem fehlt nichts.«
Der Arzt legte das Herz auf das Stahltablett zurück.
»Da ist aber etwas Merkwürdiges mit diesem unserem Holberg«, sagte er, »ohne dass ich ihn in dieser Hinsicht besonders untersucht hätte. Du wirst bestimmt wollen, dass ich das tue. Es gibt einige schwache Anzeichen dafür, dass er eine bestimmte Krankheit gehabt hat. Ich habe im Gehirn einen kleinen Tumor gefunden, einen gutartigen, der ihm vielleicht etwas zu schaffen gemacht hat, und er hat einige Hautverfärbungen, vor allem hier unter den Armen.«
»Kaffeeflecken?«, fragte Erlendur.
»Café au lait heißen sie in den schlauen Büchern. Ja, Kaffeeflecken. Weißt du etwas darüber?«
»Absolut gar nichts.«
»Ich werde zweifellos noch mehr Symptome finden, wenn ich ihn näher untersuche.«
»Es war die Rede von Kaffeeflecken bei dem Mädchen. Sie bekam einen Hirntumor. Bösartig. Weißt du, was für eine Krankheit das ist?«
»Darüber kann ich jetzt noch nichts sagen.«
»Sprechen wir von einer Erbkrankheit?«
»Ich weiß es nicht.«
Der Arzt ging hinüber zu dem Tisch, wo Auður lag.
»Kennst du die Story von Einstein?«, fragte er.
»Einstein?«, sagte Erlendur.
»Albert Einstein.«
»Was für eine Story?«
»Eine merkwürdige Geschichte. Thomas Harvey? Nie von ihm gehört? Ein Pathologe.«
»Nein.«
»Er hatte Wache, als Einstein starb«, fuhr der Arzt fort. »Ein neugieriger Zeitgenosse. Obduzierte die Leiche, und weil es Einstein war, konnte er sich nicht zurückhalten und öffnete auch den Kopf und untersuchte das Gehirn. Und er tat noch mehr. Er klaute Einsteins Gehirn.«
Erlendur schwieg. Er hatte keine Ahnung, worauf der Arzt hinauswollte.
»Nahm es mit zu sich nach Hause. Manche Leute haben eine merkwürdige Sammelleidenschaft, besonders, wenn es sich um berühmte Menschen handelt. Harvey verlor seinen Job, als der Diebstahl bekannt wurde, und er wurde mit den Jahren
Weitere Kostenlose Bücher