Nordermoor
eine Kodak Instamatic, die in eine Hosentasche passte. Elinborg erinnerte sich, dass das früher ein beliebtes Weihnachts- oder Konfirmationsgeschenk gewesen war. Kein besonders kostbarer Besitz für einen Mann mit brennendem Interesse am Fotografieren, aber sie tat natürlich ihre Dienste. Filme sah sie nicht in dem Karton. Erlendur hatte sie extra gebeten zu überprüfen, ob Grétar irgendwelche Filme hinterlassen hätte. Sie nahm ein Taschentuch, drehte die Kamera um und sah, dass kein Film drin war. Es waren auch keine Fotos in dem Karton.
»Und dann sind hier alle möglichen Schalen und Flüssigkeiten«, sagte Klara und zeigte nach hinten in den Abstellraum. »Ich glaube, er hat seine Fotos selbst entwickelt. Da ist auch noch etwas Fotopapier. Das ist doch bestimmt alles nicht mehr zu verwenden, oder? Müll.«
»Am besten nehme ich das auch mit«, sagte Elinborg, und Klara bahnte sich wieder einen Weg durch das Chaos.
»Weißt du, ob er seine Filme aufbewahrt hat, oder hast du welche bei ihm gesehen?«, fragte Elinborg.
»Nein, nichts dergleichen«, stöhnte Klara, als sie sich nach den Schalen bückte.
»Weißt du, wo er seine Fotos aufbewahrt hat?«
»Nein.«
»Weißt du vielleicht, warum er fotografierte?«
»Na, weil er Spaß daran hatte, vermute ich«, sagte Klara.
»Hast du jemals irgendwelche Bilder gesehen?«
»Nein, er hat mir nie was gezeigt. Wir hatten wenig Verbindung miteinander, wie ich schon sagte. Ich habe keine Ahnung, wo seine Bilder sind. Grétar war ein verdammter Idiot«, sagte sie, unsicher, ob sie sich wiederholt hatte, zuckte dann aber mit den Achseln.
»Ich würde diesen Karton gerne mitnehmen«, sagte Elinborg. »Das ist hoffentlich in Ordnung. Wir werden ihn bald wieder zurückbringen.«
»Was ist eigentlich los?«, fragte Klara und zeigte zum ersten Mal Interesse am Besuch der Polizei und den Fragen über ihren Bruder. »Wisst ihr, wo Grétar ist?«
»Nein«, sagte Elinborg und versuchte, jeglichen Zweifel zu zerstreuen. »In der Sache ist nichts Neues herausgekommen. Gar nichts.«
Die zwei Frauen, mit denen Kolbrún an dem Abend zusammen gewesen war, als Holberg sie attackierte, waren beide namentlich in den Polizeiberichten erwähnt. Erlendur hatte eine Fahndung nach ihnen eingeleitet, und es stellte sich heraus, dass beide aus Keflavík stammten, aber von dort weggezogen waren.
Die eine hatte einen amerikanischen Soldaten von der Nato-Basis geheiratet und lebte in den USA, und die andere war fünf Jahre später nach Stykkishólmur gezogen. Dort war sie immer noch gemeldet.
Erlendur überlegte, ob er einen ganzen Tag auf die Fahrt nach Stykkishólmur verschwenden sollte, oder ob es genügen würde, die Frau anzurufen.
Erlendur sprach nur schlecht Englisch, und deswegen überließ er es Sigurður Óli, die Frau in Amerika ausfindig zu machen. Er bekam ihren Mann zu sprechen, und es stellte sich heraus, dass sie vor fünfzehn Jahren gestorben war. Todesursache Krebs. In Amerika beerdigt.
Erlendur rief in Stykkishólmur an und bekam ohne nennenswerte Schwierigkeiten Verbindung mit der Frau. Er rief erst bei ihr zu Hause an und erfuhr, wo sie arbeitete. Sie war Krankenschwester am Krankenhaus.
Die Frau hörte Erlendur zu und erklärte dann, ihm leider nicht helfen zu können. Sie hatte schon damals der Polizei nicht helfen können, und daran hätte sich nichts geändert.
»Wir gehen davon aus, dass Holberg ermordet worden ist«, sagte Erlendur, »und dass das irgendwas mit diesem Vorfall damals zu tun hat.«
»Das habe ich in den Nachrichten gesehen«, sagte die Stimme am Telefon. Die Frau hieß Agnes, und Erlendur versuchte, sich auf Grund der Stimme eine Vorstellung von ihr zu machen. Er sah zunächst eine patente und entschlossene Frau in den Sechzigern vor sich, ziemlich korpulent, denn sie war kurzatmig. Dann bemerkte er, dass sie einen hässlichen Raucherhusten hatte, und Agnes verwandelte sich in eine spindeldürre Person mit gelber und verschrumpelter Haut. In regelmäßigen Abständen hustete sie röchelnd.
»Erinnerst du dich an den Abend in Keflavík?«, fragte Erlendur.
»Ich bin vor ihnen nach Hause gegangen«, sagte Agnes.
»Mit euch waren drei Männer.«
»Ich ging mit dem, der Grétar hieß. Ich habe euch damals davon erzählt. Ich finde es ziemlich unangenehm, darüber zu sprechen.«
»Das sind neue Informationen für mich, dass du mit Grétar nach Hause gegangen bist«, sagte Erlendur und blätterte in den Berichten vor sich.
»Ich habe ihnen
Weitere Kostenlose Bücher