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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Wahrscheinlich, um die Todesursache zu bestimmen, und dann ist es nicht mehr zurückerstattet worden. Du warst ihr Arzt. Weißt du, was geschehen ist? Weißt du etwas über die Sache?«
    »Ich war ihr Hausarzt, das habe ich dir, glaube ich, schon erklärt, als du das letzte Mal hier warst. Betreut wurde sie im Krankenhaus in Keflavík von den Ärzten dort.«
    »Der Arzt, der die Obduktion vorgenommen hat, lebt nicht mehr. Wir haben die Kopie eines Berichts mit den pathologischen Ergebnissen bekommen. Der ist ziemlich knapp und nennt nur einen Hirntumor. Falls mehr untersucht wurde, gibt es keinen Bericht darüber. Hätte es nicht genügt, Proben zu entnehmen? Musste wirklich das ganze Gehirn entfernt werden?«
    Der Arzt zuckte mit den Achseln.
    »Ich kenne mich da nicht so gut aus.«
    Er zögerte einen Augenblick.
    »Fehlten noch andere Organe?«, fragte er dann.
    »Andere?«, sagte Erlendur.
    »Als das Gehirn. Fehlte nur das Gehirn?«
    »Was meinst du damit?«
    »Sind die anderen Organe nicht angerührt worden?«
    »Ich glaube nicht. Der Arzt hat das nicht erwähnt. Nichts anderes angerührt? Worauf willst du hinaus?«
    Frank blickte Erlendur nachdenklich an.
    »Ich gehe nicht davon aus, dass du jemals etwas über den Gläserpalast gehört hast.«
    »Gläserpalast?«
    »Ja.«
    »Was bedeutet Gläserpalast?«
    »Er ist jetzt geschlossen worden, soweit ich weiß, aber erst vor ganz kurzer Zeit. Der Saal wurde so genannt. Gläserpalast.«
    »Der Saal?«
    »Im Obergeschoss auf dem Baróns stí gur. Da, wo die Organe aufbewahrt wurden.«
    »Organe aufbewahrt?«
    »Sie wurden in Glaskrügen mit Formalin aufbewahrt. Alle möglichen Organe, die man aus den Krankenhäusern holte. Zu Unterrichtszwecken. Im Medizinstudium, Anatomie, Pathologie und wie das alles heißt. Sie wurden in einem Raum aufbewahrt, der von den Medizinstudenten Gläserpalast genannt wurde. Lagen in Formalin in Glasbehältern. Eingeweide. Herzen, Nieren und Extremitäten. Auch Gehirne.«
    »Aus den Krankenhäusern?«
    »Menschen sterben im Krankenhaus. Werden obduziert. Auch zu Unterrichtszwecken. Die Organe werden seziert.
    Nicht alle werden zurückgegeben, einige werden zu Unterrichtszwecken aufbewahrt. Seinerzeit wurden solche Organe in dem Gläserpalast aufbewahrt.«
    »Warum erzählst du mir das?«
    »Es muss nicht sein, dass das Gehirn für immer verschwunden ist.«
    »Wie das?«
    »Es kann durchaus sein, dass es sich in irgendeinem Gläserpalast befindet. Organe, die zu Unterrichtszwecken aufbewahrt werden, sind alle registriert und systematisch erfasst. Wenn du das Gehirn unbedingt finden musst, dann besteht die Chance, dass es aufbewahrt wurde.«
    »Ich habe noch nie von so was gehört. Werden die Organe ohne Genehmigung entfernt, oder bittet man die Angehörigen um Erlaubnis? … Wie geht das vonstatten?«
    Der Arzt zuckte mit den Achseln.
    »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wahrscheinlich gibt es da diverse Möglichkeiten. Organe sind ungeheuer wichtig für den Unterricht. Alle Universitätskliniken auf der ganzen Welt haben eine große Sammlung von Organen. Ich habe sogar gehört, dass einzelne Ärzte, Pathologen, sich eine eigene Privatsammlung zugelegt haben, aber das ist etwas, wovon ich nur gehört habe.«
    »Organsammler?«
    »Die gibt es.«
    »Organsammler?«
    »Ja.«
    »Was ist aus diesem … Gläserpalast geworden? Wenn es sie nicht mehr gibt.«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Denkst du, dass das Gehirn dort gelandet sein kann? In Formalin präpariert?«
    »Könnte gut sein. Habt ihr das Mädchen exhumiert?«
    »Vielleicht war das ein Missverständnis«, schnaubte Erlendur. »Vielleicht ist dieser ganze Fall ein einziges großes Missverständnis.«

Kapitel 23
    E linborg hatte Klara, die Schwester von Grétar, ausfindig gemacht. Ihre Suche nach einem weiteren Opfer von Holberg aus Húsavík hatte noch keinen Erfolg gezeitigt. Die Reaktionen der Frauen liefen alle aufs Gleiche hinaus: enormes und echtes Erstaunen, und dann brennendes Interesse, sodass Elinborg sich wirklich am Riemen reißen musste, um sich nicht die Details entlocken zu lassen. Obwohl sie und die anderen Kriminalbeamten allen einschärften, dass die Angelegenheit heikel sei und mit niemandem darüber gesprochen werden durfte, wusste Elinborg ganz genau, dass die Klatsch-und Tratschleitungen abends glühen würden.
    Klara lebte in einer gepflegten Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Breiðholt. Sie nahm Elinborg an der Wohnungstür in Empfang, eine schlanke Frau über

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