Nordermoor
Mikroskopen, Computern, Reagenzgläsern und Geräten fiel, von denen Erlendur alles andere als klar war, welchem Zweck sie dienten.
Er erinnerte sich an eine Bemerkung über Sammler, die er in einem Buch gelesen hatte. Sammler machen sich eine Welt zurecht. Sie machen sich eine kleine Welt um sich herum zurecht, wählen bestimmte Chiffren aus der Wirklichkeit und machen sie zu den wichtigsten Bewohnern der von ihnen geschaffenen Welt. Holberg war auch ei n Sammler gewesen, und seine Sammelleidenschaft hatte mit Pornografie zu tun. Daraus hatte er sich eine kleine Privatwelt zurechtgemacht, genau wie der Arzt mit den Organen.
»Sie ist hier«, sagte der Arzt.
Er ging zu einem großen alten Holzschrank, dem einzigen Teil in diesem Zimmer, der nicht mit der sterilen Umgebung übereinstimmte, öffnete ihn und nahm einen Glasbehälter mit Deckel heraus. Er stellte ihn vorsichtig auf einen Tisch, und Erlendur sah in dem starken Neonlicht ein kleines Kindergehirn in einer trüben Formalinlösung schwimmen.
Als er losfuhr, hatte er eine kleine schwarze Ledertasche mit den sterblichen Überresten von Auður dabei. Er dachte an den Gläserpalast. Während er durch die menschenleeren Straßen nach Hause fuhr, hoffte er bei sich, dass niemals irgendwelche Teile von ihm in Forschungslabors aufbewahrt würden. Es regnete immer noch, als er zu seinem Haus kam. Er stellte den Motor ab, steckte sich eine Zigarette an und schaute in die Nacht hinaus.
Erlendur blickte auf die schwarze Tasche auf dem Vordersitz.
Er hatte vor, Auður an ihren Platz zurückzubringen.
Kapitel 37
D ie Polizisten, die vor dem Haus von Katrín Wache schoben, bemerkten gegen Mitternacht, dass Albert aus dem Haus kam und die Tür zuknallte, in seinen Wagen stürzte und davonfuhr. Er schien es sehr eilig zu haben, und sie stellten fest, dass er denselben kleinen Koffer dabei hatte, mit dem sie ihn nachmittags hatten ankommen sehen. Ansonsten waren in der Nacht keine anderen Menschen unterwegs, und Katrín war nirgends zu sehen.
Ein Streifenwagen in der Nähe fuhr bis zum Hotel Esja hinter Albert her, wo er sich für die Nacht eincheckte.
Am darauf folgenden Morgen traf Erlendur um acht Uhr vor Katríns Haus ein. Elinborg war mitgekommen. Es regnete immer noch. Seit Tagen hatte man die Sonne nicht gesehen. Sie klingelten dreimal, bevor sie von drinnen ein Geräusch hörten und die Tür aufgemacht wurde. Katrín erschien an der Tür. Elinborg stellte fest, dass sie noch dieselbe Kleidung vom Vortag trug und geweint hatte. Das Gesicht legte Zeugnis davon ab, die Augen waren rot geschwollen.
»Entschuldigt bitte«, sagte Katrín abwesend, »ich muss im Sessel eingeschlafen sein. Wie spät ist es?«
»Dürfen wir hereinkommen?«, fragte Erlendur.
»Ich habe Albert nie erzählt, was passiert ist«, sagte sie und ging ins Haus, ohne sie hereinzubitten. Erlendur und Elinborg schauten einander an und gingen hinterher.
»Er ist gestern Abend wieder weggegangen«, sagte Katrín. »Wie spät ist es eigentlich? Ich glaube, ich bin im Sessel eingeschlafen. Albert war völlig außer sich. Ich habe ihn noch nie so außer sich gesehen.«
»Kannst du nicht Verbindung mit deiner Familie aufnehmen?«, fragte Elinborg. »Jemand, der hier herkommen und bei dir bleiben kann? Deine Söhne?«
»Nein, Albert kommt schon wieder, und dann ist alles in Ordnung. Ich will die Jungen nicht behelligen. Das renkt sich wieder ein. Albert kommt zurück.«
»Warum war er so außer sich?«, fragte Erlendur. Katrín hatte sich im Wohnzimmer auf das Sofa gesetzt, Elinborg und Erlendur setzten sich wie gestern ihr gegenüber.
»Er war vollkommen außer sich vor Zorn, der Mann. Wo er doch normalerweise so ruhig ist. Albert ist ein guter Mann, ein guter Mann, und er ist immer so gut zu mir gewesen. Wir führen eine gute Ehe. Wir sind immer glücklich gewesen.«
»Vielleicht möchtest du, dass wir später wiederkommen«, sagte Elinborg. Erlendur schaute sie durchdringend an.
»Nein«, sagte Katrín, »das ist ganz in Ordnung. Albert kommt wieder. Er muss sich nur abreagieren. Mein Gott, wie schwierig das alles ist. Ich hätte es ihm damals gleich erzählen sollen, sagte er. Er konnte nicht verstehen, wie ich das all die Jahre habe verschweigen können. Er hat mich angebrüllt.«
Katrín schaute sie an. »Er hat mich noch nie angebrüllt.«
»Ich hole einen Arzt«, sagte Elinborg und stand auf. Erlendur traute seinen Ohren nicht.
»Nein, es ist schon in Ordnung«, sagte Katrín.
Weitere Kostenlose Bücher